Mein Herz sieht die Welt schwarz

2009
Rezension zu Mein Herz sieht die Welt schwarz
Thomas Schneider
Dr. Kay Hoffmann
Filmpublizist und wissenschaftlicher Leiter im Haus des Dokumentarfilms

Afghanistan wird von vielen heute sofort mit Krieg assoziiert und auch mit dem Einsatz der Bundeswehr. Das Land ist von einem über drei Jahrzehnte andauernden Kriegszustand gezeichnet. Dies macht gleich die erste Einstellung in Helga Reidemeisters Dokumentarfilm deutlich. Sie zeigt eine Bahnfahrt nach Kabul, das in Ruinen liegt. Die Filmemacherin erzählt in ihrem Film von einer eigentlich unmöglichen Liebe zwischen Shaima und Hossein, mit allen Elementen einer klassischen Tragödie. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit. Um Geld zu verdienen, schließt sich Hossein den Taliban an, wird schwer verletzt und ist fortan querschnittsgelähmt. Nur mit Mühe kann er sich mit einem Gehgestell fortbewegen und läuft doch gleich bei der ersten Begegnung der Kamera entgegen. 

Shaima wird von ihrem Vater an einen 40 Jahre älteren Mann verkauft, als vierte Ehefrau. Da der Ehemann nur die Hälfte des Brautgeldes bezahlt, holt die Familie Shaima mit ihrer fünfjährigen Tochter zurück. Nun trifft sie sich mit Hossein und kümmert sich um ihn. Sie lieben sich mehr als je zuvor. Doch beide Familien sind gegen die Beziehung und sehen sie als Prüfung Allahs. In einer patriarchalischen Gesellschaft sind die Liebenden eingebunden in die Familienstrukturen und dürfen ihr keine Schande machen. Trotzdem träumen beide von einem gemeinsamen Leben in Frieden. 

Für Helga Reidemeister war es nach »Texas – Kabul« (2004) der zweite Film in Afghanistan; inzwischen hat sie dort auch »Splitter – Afghanistan « (2013) realisiert. In »Mein Herz sieht die Welt schwarz – Eine Liebe in Kabul« konzentriert sie sich auf den Blickwinkel der Frauen, die sich ihr und der Dolmetscherin offenbaren. Sie stellt die schwierigen Familienverhältnisse als Synonym für die Situation in Afghanistan dar. Die Filmemacherin hat das so beschrieben: »Um ein Land auch nur ahnungsweise zu begreifen, in seiner kulturellen Komplexität und in seiner schicksalhaften Verkettung in die politischen Weltverhältnisse, brauchte ich unbedingt Nähe zu Menschen in ihren täglichen Existenznöten.« Es ist ihr gelungen, das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen. Sie zeigt sie uns in langen Einstellungen, die eine genaue Beobachtung ermöglichen. Sie bewundert den aufrechten Gang von Shaima und Hossein, die ihre Liebe gegen alle Widerstände leben und bereit waren, ihre Familienangelegenheiten dem westlichen Kamerateam zu offenbaren. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden Zeugen einer Gesellschaft im Wandel. Der Film konnte 2010 im Kino starten, nachdem Shaimas Vater ihrer Scheidung zugestimmt hatte. Das hat die Familienehre gerettet. 

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Kinostart:07.02.2009 beim Internationale Filmfestspiele Berlin 2009
09.11.2009 beim Leeds International Film Festival
weitere Titel:
Mein Herz sieht die Welt schwarz
War and Love in Kabul
Genre:Dokumentarfilm
Herstellungsland:Deutschland
Originalsprache:Dari
IMDB: 34
Regie:Helga Reidemeister
Drehbuch:Helga Reidemeister
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Rezensionen:

2011
German Film Critics Association Awards
German Film Critics Award
Best Documentary (Bester Dokumentarfilm)
Nominiert
Datenstand: 16.05.2022 17:53:59Uhr