Das Rote Imperium (3/3)

Supermacht und Supergau

Quelle: ARD-Pressebild
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Im Jahr 1972 wurde ein halbes Jahrhundert UdSSR gefeiert. Trotz imposanter Pionierleistungen blieb die Wirtschaftskraft des größten Landes der Erde aber immer weiter hinter den Zielen zurück. Nur bei der atomaren Aufrüstung ging es voran. Mit dem Afghanistanfeldzug stürzte Breschnew sein Reich in eine tiefe Sinnkrise, die den einsetzenden Erosionsprozess des Vielvölkergebildes weiter forcieren sollte. Erst mit Gorbatschow, der 1985 zum Kremlchef aufstieg, kam das Land wieder in Bewegung.
Die Hoffnungen, die die Menschen auf seine neue Perestroika- und Glasnost-Politik setzten, war riesig, aber schnell wurde auch klar, wie sehr das Land bereits ausgehöhlt und zerrüttet war. Die Läden wurden immer leerer, die Unzufriedenheit wuchs. Es brodelte überall, auch zwischen den Republiken. Anfang 1990 versuchte Litauen, die UdSSR zu verlassen. Gorbatschow beorderte Panzer ins Baltikum. Aber der Erosionsprozess des Roten Imperiums war nicht mehr zu stoppen.
Nach dem Putschversuch im Sommer 1989 wurde klar, dass das Land nicht mehr zu retten war. Mit der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten durch die Präsidenten von Russland, Belarus und der Ukraine Anfang Dezember 1991 war die UdSSR de facto aufgelöst. Gorbatschow, plötzlich ein Präsident ohne Land und ohne Macht, erklärte schließlich am 25. Dezember 1991 seinen Rücktritt, die rote Fahne mit Hammer und Sichel wurde für immer eingeholt. Das rote Sowjetimperium hörte auf zu existieren. Aber der Homo sovieticus geistert weiter durch die Geschichte, bis in die Gegenwart.
Dreiteiliger Film von Martin Hübner und Jürgen Ast
Die Sowjetunion. Unvorstellbare Landmassen, die sich über zwei Kontinente erstrecken und über mehrere Klima- und elf Zeitzonen. Ein Sechstel der Erde. Vom ewigen Eis am Polarkreis bis zu den Palmen am Schwarzen Meer. Von Kaliningrad (dem ehemaligen Königsberg) im Westen bis Wladiwostok im äußersten Osten. Ein Land, in dem die Sonne nie untergeht, über Wüsten, Sümpfe, Tundra, Kaukasus, Aralsee Uralgebirge, endlose Flüsse, Steppen, Metropolen und Provinznester. Die Sowjetunion ist eines der größten Imperien in der Geschichte der Menschheit, das größte im XX. Jahrhundert. Beispiellos in jeder Beziehung, nicht nur topografisch. Ein Vielvölkerstaat, bestehend aus 15 Sowjet-Republiken: Russland, Lettland, Litauen, Estland, Kasachstan, Weißrussland, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan, Armenien, Turkmenistan, Moldawien, Georgien, Kirgisien, Tadschikistan. Und selbst Russland als größte Sowjet-Republik vereint allein noch einmal über 140 Völkerschaften und Ethnien mit eigenen Kulturen, Religion und Sprache.
Die Sowjetunion war ein beispielloses Experiment, das den neuen Menschen, eine neue Gesellschaftsform erschaffen wollte. Ein menschenverachtendes Projekt, das mit dem Tod von Millionen Menschen erkauft wurde. 1922 wurde die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet. 100 Jahre danach begeben sich die renommierten Filmemacher und Russlandexperten Martin Hübner und Jürgen Ast nun auf die Spuren eines untergegangenen, und doch noch immer lebendigen, Imperiums.
Dabei setzen die Autoren vor allem auf exklusive Archiv-Bilder und exponierte Protagonisten. Als die Arbeit an der Doku-Serie begann, waren das 100. Gründungs-Jubiläum der UdSSR noch weit weg, der Ukraine-Krieg noch unvorstellbar und die diversen Archive in den ehemaligen Sowjet-Republiken noch zugänglich. "Wir haben so intensiv und expansiv in den Film-Archiven recherchiert wie noch nie zuvor. Tausende Clips, Hunderte Stunden Film. Die Ausbeute ist wirklich exorbitant." (M.H, J.A.). Spektakuläre Sequenzen aus den Traumfabriken made in UdSSR, grandiose und erschütternde Schlaglichter aus der beispiellosen Geschichte der Sowjetunion. Von den Anfängen 1922 bis zum Kollaps 1991. Zu den exponierten Protagonisten, die sich mit der Geschichte aus den unterschiedlichsten Positionen und Perspektiven auseinandersetzen, gehören Politiker, Historiker, Dichter, Musiker, Menschenrechtler.
Hervorzuheben wäre die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, geboren in der Ukraine, aufgewachsen in Belarus, eine Schriftstellerin, die zu Sowjet-Zeiten nicht nur durch spektakuläre Bücher über den Afghanistan-Krieg und die Katastrophe im Tschernobyl die Menschen aufschreckte, sondern bis heute kluge und schonungslose Exkursionen durch die Seele des "Homo Sowjeticus" unternimmt, jenes Wesens, das es so nur in der Sowjetunion gegeben hat. Produkt und Schöpfer der Sowjet-Verhältnisse gleichermaßen. "Ein Homo Sowjeticus ist ein Mensch, der nicht sich selbst gehört. Ein Wesen, wie ein Schmetterling im Beton." Mit ihm gelangt der Zuschauer mitten hinein in das Gravitationszentrum des Roten Imperiums und schließlich auch dorthin, wo die Fliehkräfte anfingen das ganze System auseinanderfliegen zu lassen.
Der Homo Sowjeticus ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Viele der Konfliktherde im postsowjetischen Raum, die die Welt in Atem halten, sind nur zu verstehen, wenn man zurück blickt in die Geschichte der Sowjetunion.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Dienstag, den 07.03.2023 um 22:10 Uhr auf MDR.