corona nachgehakt

Verlieren wir die Kontrolle?

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Fast alle europäischen Ländern meldeten in den vergangenen Tagen Rekordwerte bei den Neuinfektionen mit dem Corona-Virus. Verlieren wir die Kontrolle? Ein neuer Lichtblick könnten nun Erkenntnisse aus der 40-jährigen AIDS-Forschung sein. Alfred Schier spricht mit Prof. Hendrik Streeck, Virologe Uniklinik Bonn.


Droht uns ein Kontrollverlust über die Pandemie? Kann dieses Jahr bereits mit einem Impfstoff gerechnet werden? Und können womöglich Erkenntnisse aus der AIDS-Forschung auch bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie helfen? Diese Fragen diskutieren Prof. Hendrik Streeck, Virologe Uniklinik Bonn und Alfred Schier.

AIDS und Corona haben einige Gemeinsamkeiten: Beide Viren lösten globale Pandemien aus, brachten Verschwörungstheorien zum Vorschein und kosteten viele Menschenleben. Aktuell forschen Wissenschaftler, welche Erkenntnisse man aus der 40-jährigen AIDS-Forschung auch auf die Corona-Pandemie anwenden kann.

1981 wurden in den USA die ersten Fälle der durch HIV-Viren ausgelösten Immunkrankheit AIDS dokumentiert. Seitdem starben mehr als 30 Millionen Menschen in Folge einer HIV-Infektion weltweit. Auch wenn die Krankheitsverläufe und Übertragungswege bei AIDS anders sind als beim Coronavirus SARS-CoV-2, gibt es dennoch einige Gemeinsamkeiten: Beide Krankheiten werden viel diskutiert und geben Anlass für Verschwörungstheorien, und in beiden Fällen sind besonders ärmere Länder von den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie betroffen.


* Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Viren
Die Viren benötigen grundsätzlich einen Oberflächenmarker in den Zellen - mit den Ausstülpungen funktioniert das Erkennen und Eindringen in die Zellen. Doch zwischen den beiden Viren gibt es hierbei Unterschiede: Das SARS-CoV-2 hat ein bestimmtes Protein auf seiner Hülle, das an den sogenannten ACE2-Rezeptor auf der Zelle andocken kann - dieser Rezeptor ist insbesondere auf Lungenzellen vorhanden. Zum Andocken benötigt das HI-Virus auf den Zellen die CD4-Ausstülpung.

Eine weitere Gemeinsamkeit von Viren, ist dass die Zellen viele Viren produzieren, nachdem die Viren ihre Erbsubstanz in die Zellen übertragen haben. So werden vor allem die T-Lymphozyten, die den zellulären Abwehrbereich darstellen, geschädigt. Der Unterschied zwischen den beiden Viren ist, dass dieser Prozess bei HI-Viren über Jahre sehr langsam abläuft. Es erfolgt eine Umprogrammierung der T-Lymphozyten und eine Verbreitung über den gesamten Körper. Zudem kommt es bei HIV zu einem Einbau der Erbsubstanz der Viren in die Zellen, weshalb das Virus nicht mehr aus der Erbsubstanz entfernt werden kann und so kann die Behandlung HIV nicht heilen. Hier unterscheidet sich das SARS-CoV-2 zum HI-Virus, denn beim Corona-Virus kommt es nicht zum Einbau der Erbsubstanz in die Zellen, weshalb eine Heilung der Krankheit bei den meisten Menschen möglich ist.

Es gibt zudem keine gegenseitige Verstärkung der Krankheiten HIV und SARS-CoV-2.

* AIDS-Medikamente gegen Corona
Aktuell wird wissenschaftlich untersucht, ob HIV-Medikamente auch gegen COVID-19 wirksam sein könnten. Im Mittelpunkt steht zunächst das HIV-Medikament Kaletra mit den Wirkstoffen Lopinavir und Ritonavir. Das neue Coronavirus und andere Coronaviren brauchen ein bestimmtes Enzym, eine bestimmte Protease (TMPRSS2), um sich zu reproduzieren. Auch HIV braucht ein Enzym zur Vermehrung: Die HIV-Protease. Kaletra ist ein Medikament, das diese HIV-Protease blockiert. Allerdings ist die Coronavirus-Protease nicht mit der HIV-Protease identisch - sie kommen aus verschiedenen Protease-Familien und haben eine unterschiedliche Struktur.

Bei SARS 2004 gab es Beobachtungen, bei denen ein spezieller HIV-Protease-Hemmer bei einer SARS-CoV-2 Infektion einen günstigen Effekt bewirkte. Bezüglich SARS-CoV-2 wurde in Berichten festgehalten, dass mit Kaletra der Krankheitsverlauf bei dieser Krankheit günstiger beeinflusst würde, demgegenüber stehen jedoch Berichte, die diese Annahme nicht bestätigen. Jedoch zeigt nun eine Studie, die vor Kurzem veröffentlicht wurde, dass der Wirkstoff keine bessere Behandlung im Vergleich zur Standardtherapie darstellt.

Derzeit gibt es keine Belege dafür, dass HIV-Medikamente auch gegen Corona eingesetzt werden können, oder dass Menschen, die mit HIV-Medikamenten behandelt wer den, vor dem Coronavirus geschützt sind.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Montag, den 26.10.2020 um 13:45 Uhr auf phoenix.