Die Sprache lügt nicht

Die Tagebücher von Victor Klemperer

Quelle: ARD-Pressebild
Quelle: ARD-Pressebild

Von Hitlers Machtübernahme 1933 bis zur Kapitulation Deutschlands 1945 schrieb Victor Klemperer in Dresden Tagebuch. Heimlich notierte er, was ihm als deutschem Juden im Alltag des Dritten Reiches widerfuhr und auffiel. Er führte das Leben eines Ausgestoßenen, dem tausend kleine Dinge verboten waren: ein Auto, einen Staubsauger, ein Fahrrad oder eine Katze zu besitzen, eine Zigarre zu rauchen, eine öffentliche Bibliothek zu benutzen, "Mein Kampf" zu lesen, Eis zu essen. Dabei schwebte er in ständiger Gefahr, von der Gestapo verhaftet, ins KZ verschleppt und umgebracht zu werden.
Aber Klemperer wollte sich nicht in die Opferrolle zwingen lassen. Er nahm den Kampf mit dem Naziregime auf dem Gebiet auf, das ihm als Philologieprofessor am nächsten lag: der Sprache. Bereits 1933 fing Klemperer an, in seinem Tagebuch die neue Sprache kritisch zu dokumentieren, die nun in Deutschland Verwendung fand. Mit der Leidenschaft des Sammlers notierte er jedes neue Wort und jede neue Redewendung. Er interessierte sich für die neuen Schriftzeichen in Todesanzeigen, für die Stammtischwitze, für den Einfluss Jean-Jacques Rousseaus auf die Nazi-Ideologie und für die Anleihen aus dem Jargon von Technik, dem Boxsport und amerikanischer Werbung.
Getreu seinem selbst auferlegten Motto "beobachten, notieren, studieren" analysierte er Tag für Tag die Sprache des Dritten Reiches, die er "Lingua Tertii Imperii" nannte und mit dem Kürzel "LTI" belegte. "LTI. Notizbuch eines Philologen" lautet auch der Titel seines 1947 erschienenen Buches. Jede neue Eintragung in sein Tagebuch konnte ihn das Leben kosten. Bald wurde ihm Schreiben wichtiger als Überleben. Er wollte Zeugnis ablegen und gleichzeitig Widerstand leisten gegen die Verunglimpfung seiner geliebten deutschen Sprache.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Dienstag, den 07.03.2023 um 23:25 Uhr auf arte.

07.03.2023
23:25
Livestream
Alternative Ausstrahlungstermine:
07.03.2023 23:25 Uhr arte