Gute Pute?

Hinter den Kulissen der Geflügelindustrie

In einer Stichprobe aus deutschen Supermärkten und Discountern waren fast zwei Drittel der konventionellen und noch ein Viertel der Bio-Putenfleischproben mit antibiotika-resistenten Keimen belastet. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist das bedrohlich.
Die Dokumentation schaut hinter die Kulissen einer Industrie, in der Putenküken Lizenzprodukte aus dem Zuchtprogramm zweier international operierender Konzerne sind, auf Höchstleistung getrimmt. Auch Bioputen stammen oft aus diesen Genetik-Fabriken. Kunden haben kaum eine Chance herauszufinden, ob Bio-Putenfleisch von langsam wachsenden Rassen stammt, oder von der Standard-Pute.


In einer Stichprobe aus deutschen Supermärkten und Discountern waren fast zwei Drittel der konventionellen und immerhin noch ein Viertel der Bio-Putenfleischproben mit antibiotika-resistenten Keimen belastet. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist das bedrohlich.

Anfang der 80er Jahre aß der durchschnittliche Westdeutsche 1,6 Kilo Pute im Jahr, heute sind es über 6 Kilo. Weltweit essen nur die US-Amerikaner und die Franzosen noch mehr. Eine Erfolgsgeschichte. Dazu trägt auch der erstaunlich niedrige Preis bei: 5,99 kostet das Kilo Putenschnitzel im Handel. Das funktioniert, weil bestimmte Putenrassen in besonders drastischer Weise für die modernen Konsumbedürfnisse gezüchtet worden sind.

24 Kilogramm Schlachtgewicht in 22 Wochen Lebenszeit erreicht ein konventioneller Mastputer. Zweieinhalb der großen Tiere teilen sich am Ende der Mast einen Quadratmeter Stallfläche. Veterinärin Miriam Goldschalt vom Deutschen Tierschutzbund sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht: "Es gibt keine rechtlich bindenden, gesetzlichen Vorschriften für die spezielle Putenhaltung.

Das Einzige, was existiert, ist eine freiwillige Vereinbarung, die sogenannten bundeseinheitlichen Eckwerte für die konventionelle Putenhaltung. Aber leider orientieren sich diese Eckwerte weitgehend an der Industrie und an der bestehenden Praxis. Wir würden uns wünschen, dass man nicht die Tiere an das Haltungssystem anpasst, sondern das System an die Bedürfnisse der Puten." Dieses System verursacht viele Probleme - für die Gesundheit der Tiere, aber auch für uns Menschen.

Denn laut Monitoring der Bundesregierung werden in der Putenmast besonders großflächig Antibiotika eingesetzt. Trotz der Forderung, mit Blick auf die zunehmenden Resistenzen deren Einsatz zu verringern, gelingt das bei Puten kaum - die hochgezüchteten Fleischlieferanten neigen zu Darmproblemen und Durchfall. Erkrankt ein Tier in einem typischen konventionellen Stall, müssen mehrere tausend Tiere auf einmal behandelt werden.

"Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast ist definitiv ein wichtiger Grund für die Entstehung von antibiotikaresistenten Keimen. Und wahrscheinlich auch einer der Hauptgründe." Mikrobiologin Professor Katarina Schaufler von der Uni Greifswald hat für ZDF Zoom 63 Putenfleischproben auf resistente Keime untersucht. Mit erschreckenden Resultaten: auf 62 Prozent der konventionellen Proben gab es antibiotika-resistente Keime, bei Bio-Puten waren es immer noch 25 Prozent. "Wenn Sie zum Beispiel gewisse Hygienemaßnahmen in der Küche nicht beachten, können Sie als Verbraucher sich mit diesen Keimen auf dem Fleisch anstecken."

Mehr als ein Drittel aller Proben war mit Keimen belastet, die auch gegen so genannte Reserveantibiotika resistent sind - Medikamente, die eigentlich schwerstkranken Menschen vorbehalten sein sollten. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ein Problem: Fast alle Covid19-Patienten in Krankenhäusern leiden an bakteriellen Superinfektionen und werden mit Antibiotika behandelt.

Doch auch die Tiere leiden: Kupierte Schnäbel, Fehlstellungen der Beine, intensiver Antibiotika-Einsatz: Alltag, selbst in Vorzeigeställen. Dabei ist gerade das Kürzen der Schnäbel im Tierschutzgesetz als Amputation eigentlich verboten und nur mit Sondergenehmigung möglich - doch die wird routinemäßig erteilt. Shana Bergmann, Veterinärin an der Ludwig-Maximilian-Universität München, sieht das kritisch: "Wir amputieren beim Schnabel ein Organ, das für das Tier sehr wichtig ist, das sogenannte Schnabelspitzenorgan, das wir gänzlich zerstören. Damit zerstören wir Gewebe und das ist durchaus schmerzhaft."

Die Sendung wird ausgestrahlt am Donnerstag, den 09.07.2020 um 18:00 Uhr auf phoenix.

09.07.2020
18:00
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Schlagwörter:Dokumentation/Reportage, Tiere, Verbraucherfragen
Alternative Ausstrahlungstermine:
09.07.2020 18:00 Uhr phoenix