Jahre der Verführung (1/2)

Farbfilme aus Bayern 1931-39

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Mehr als 70 Jahre lagen Farbfilmrollen teilweise unentdeckt auf Dachböden oder in Archiven. Die Regisseurinnen Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer haben die Familiengeschichten hinter den Privatfilmen erforscht. Aus vielen Stunden Filmmaterial ist ein Gesamtbild Bayerns entstanden, wie man es selten gesehen hat: ein Blick wie durch ein Schlüsselloch auf den Familienalltag in der NS-Zeit.


Im ersten Teil der zweiteiligen Dokumentation "Jahre der Verführung - Jahre des Untergangs" wird erzählt von einem Reich, das in einem Meer aus Fahnen versinken, und in dem die Verführung über die Menschlichkeit siegen wird. Es sind Amateurfilmer, die unverfälschte Einblicke aus dem Alltag dieses Reiches in der Zeit von 1931 bis zum letzten Tag vor Kriegsbeginn geben.

Es sind Familienfilme, die nicht für fremde Augen gedacht waren. Urlaubsbilder aus dem Chiemgau und aus Garmisch oder ein heiterer Faschingsumzug in Nürnberg. Ein verspielter Tanzreigen im Bayerischen Wald oder ein Streifzug durch die Münchner Innenstadt. Viele Bilder wirken harmlos. Doch mit dem Wissen um die sich anbahnende Katastrophe erzeugen gerade die Farbigkeit und die Unbedarftheit der Aufnahmen ein Unbehagen, das in einer Frage mündet: Wo beginnt es, das Böse?

Denn in der Diktatur des Dritten Reiches gab es keinen Lebensbereich, der nicht politisiert war. Durch die jubelnde Menschenmenge der Nürnberger Faschingsgesellschaft etwa zieht vor der Kamera unvermittelt ein Motivwagen mit einem Galgen vorbei, an dem Juden aus Pappmaché hängen. Alle haben es gesehen. Die tanzenden jungen Frauen im Bayerischen Wald sind in einem Zeltlager des "Bunds Deutscher Mädel" und werden auf ihre Mutterrolle für die zukünftige arische Generation vorbereitet. Und in München, der "Hauptstadt der Bewegung", marschiert die SS zur Mahnwache an dem von den Nazis errichteten Ehrentempel am Königsplatz auf, der zum touristischen Magneten wird.

Und so nähert sich "Jahre der Verführung" der Frage, wie sich die Gleichschaltung der Gesellschaft unter den Nationalsozialisten vollzog, und wie sie die Menschen auf den Krieg vorbereitete.
In diesem Bilder-Panoptikum entspinnt sich die Geschichte einer Familie, in der sich die zentrale Frage nach der Schuld spiegelt. Es ist eine Familie wie aus einem nationalsozialistischen Bilderbuch. In der perfiden Rassensystematik der Zeit gilt die Familie als "rein arisch". Vereint im festen Glauben das Richtige zu tun, sind die Familienmitglieder in der Partei organisiert. Der Vater ist bei der SS, der Sohn in der Hitlerjugend und zumindest die jüngste Tochter im Bund Deutscher Mädel engagiert. Es sind vornehmlich Aufnahmen von der Verlobungsreise dieser jungen Frau, die den schmalen Grat zwischen hoffnungsvoller Zukunftszuversicht und zerstörender Verblendung zeigen. "Jahre der Verführung" zeigt Bilder aus einem Land, in dem Menschen in blindem Gehorsam in die Katastrophe marschieren.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Donnerstag, den 30.04.2020 um 03:40 Uhr auf BR.

30.04.2020
03:40
Livestream
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Audio-Beschreibung: nein
Hörhilfe: ja
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Schlagwörter:NS-Zeit und Folgen, Geschichte, 75 Jahre Kriegsende, Dokumentation/Reportage, Menschen im Alltag
Alternative Ausstrahlungstermine:
30.04.2020 03:40 Uhr BR