Das radikal Böse

Film von Stefan Ruzowitzky

Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder? Warum töten ehrbare Familienväter Frauen und Kinder? Warum verweigerten so wenige den Befehl, obwohl es ihnen freigestellt war? Wie konnten systematische Erschießungen jüdischer Zivilisten durch deutsche Einsatzgruppen in Osteuropa möglich sein? Das Nonfiction-Drama von Stefan Ruzowitzky sucht die Ursache des Bösen in einer stilistisch innovativen Herangehensweise.


Der vergessene Holocaust: Rund zwei Millionen jüdische Zivilisten sind von den sogenannten Einsatzgruppen und Polizeibataillonen ab 1941 ermordet worden. Dies geschah am helllichten Tag, öffentlich, zum Teil vor Zuschauern, mit Gewehren und Pistolen, von Angesicht zu Angesicht.

Bis heute verbinden die meisten Menschen mit dem Holocaust vor allem Gaskammern und Konzentrationslager, die grauenhaften "Neuerungen" der Nazimörder. Dass dem ein konventioneller, aber um nichts weniger grausamer Genozid vorangegangen war, mit unglaublichen zwei Millionen Opfern, ist kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Ein Grund für die geringe Bekanntheit dieser Verbrechen war die Gründlichkeit der Mörder. In dem kleinen Städtchen Bibrka, das Stefan Ruzowitzky und sein Team als einen beispielhaften Ort besuchten, sagte der ehemalige Bürgermeister auf die Frage, wie viele Juden von den Nazis ermordet worden seien: "Genau so viele, wie laut Aufzeichnungen hier gelebt hatten." Keine Überlebenden, keine Zeugen, niemand, der der Opfer gedenkt.

In "Das radikal Böse" kommen zwei Männer zu Wort, die sich um das Erinnern dieser Verbrechen beziehungweise der Opfer besonders verdient gemacht haben. Benjamin Ferencz, der als junger Jurist durch Zufall auf die "Ereignismeldungen", die grauenhaften Auflistungen der Massenmorde gestoßen war. Er hat gegen alle Widerstände noch einen Prozess in Nürnberg durchgesetzt. Und der französische Priester und Holocaustforscher Père Desbois, der mit seiner Organisation Yahad-In Unum in detektivischer Kleinarbeit die Massenexekutionen der Nazis in Osteuropa untersucht, die letzten Zeitzeugen interviewt, Massengräber aufgespürt und die Namen der Opfer vor dem Vergessen bewahrt hat.

Während später in den Konzentrationslagern das Morden durch ein perfides System gleichsam abstrahiert war, standen bei den "Sonderaktionen" Soldaten und Hilfspolizisten ihren Opfern noch von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sie schossen auf Frauen, Kinder, Babys. Wie war das möglich? Wie konnten liebevolle Familienväter, nette, junge Männer, brave Bürger zu mitleidlosen Massenmördern werden? Wieso haben sie nicht verweigert, da, wie wir hören, doch schlimmstenfalls Rügen, Schimpfworte und zusätzliches Wacheschieben drohte? Welcher Mix aus politischen, soziologischen und psychologischen Faktoren macht einen Genozid möglich? Was bringt normale Menschen zu solch unvorstellbaren Grausamkeiten? Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Gerichtsprotokolle erlauben uns, einen Eindruck von der Gedankenwelt der Mörder zu gewinnen.

Schauspieler wie Volker Bruch, Alexander Fehling, Benno Fürmann, Hanno Koffler, Lenn Kudrjawizki, Andreas Schmidt, Simon Schwarz, Devid Striesow, Arndt Schwering-Sohnrey, Sebastian Urzendowsky und Nicolette Krebitz lassen uns durch ihre Interpretation miterleben, wie ein Moment der Feigheit, sich zu exponieren, sich zu verweigern, sich außerhalb der Gruppe zu stellen, die Soldaten in einen mörderischen Abgrund reißt. Wie sie beim ersten Massaker angewidert und traumatisiert sind, sich aber bald an das tägliche Morden gewöhnen. Sogar Spaß daran finden, sich bereichern und bei alledem sich immer noch einreden, richtig und gerecht zu handeln.

Dazu die Gesichter einfacher Soldaten in Großaufnahmen. Ganz normale, junge Männer, die uns erahnen lassen, dass die Täter wohl tatsächlich keine Monster im Sinne Primo Levis waren, sondern eben normale Menschen. Sie waren bemüht sich anzupassen, nicht aufzufallen, sich selbst an den größten Schrecken, an die eigenen Verbrechen zu gewöhnen. "Ich hatte nie etwas anderes gelernt, als gegebenen Befehlen zu gehorchen", meint einer der Täter. Der normale Mensch als das eigentliche Monster.

Eine Reihe von führenden Wissenschaftlern - Historiker, Juristen, Militärs, Theologen, Psychiater - sucht im Gespräch nach Antworten. So wie der Film sich davor hütet, allzu eindeutige und eindimensionale Erklärungsmuster zu präsentieren, so geht es ihm und seinen Machern nicht vorrangig um die Dokumentation des historisch Gewesenen, sondern auch zukunftsorientiert darum, was nachfolgende Generationen und vor allem junge Menschen daraus lernen können. Wie sie verhindern können, dass aus psychologischen Mechanismen in speziellen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen immer wieder neues Leid und Verbrechen entstehen.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Samstag, den 07.12.2019 um 03:10 Uhr auf phoenix.

07.12.2019
03:10
Audio-Format:stereo
Bild-Format:16:9
Farbe:farbe
Audio-Beschreibung: nein
Hörhilfe: nein
HDTV: nein
Logo-Event: nein
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Schlagwörter:Dokumentation/Reportage, NS-Zeit und Folgen, Psychologie, Geschichte
Alternative Ausstrahlungstermine:
07.12.2019 03:10 Uhr phoenix
25.02.2019 02:30 Uhr PHOENIX
01.12.2018 04:05 Uhr PHOENIX
12.05.2017 02:15 Uhr Phoenix
23.08.2015 22:15 Uhr 3sat
01.05.2015 23:15 Uhr ZDF