Unter Menschen

2013
Rezension zu Unter Menschen
Thomas Schneider
Thomas Schneider
Online-Redakteur im Haus des Dokumentarfilms

»Übelstes Vergehen an der Kreatur« oder schlichtweg nur »Sauerei«. Die Beschimpfungen, die in dem Dokumentarfilm »Unter Menschen« ausgesprochen werden, hört man in dieser Deutlichkeit selten in der Öffentlichkeit. Es ist ein Film, der seine Grausamkeiten langsam zeigt, der dann aber mit Wucht in unsere Gedankenwelt eintritt. Er handelt von einem Verbrechen an Schimpansen, begangen angeblich im Dienste an der Menschheit. An den Spätfolgen leiden die Tiere noch heute und viele Jahre weiter.

Die Kamera nähert sich einem weitläufigen Gebäudekomplex in einer anscheinend abgelegenen Gegend. Bald schon erkennen wir, dass es sich um ein Affenhaus handelt. Hier leben Menschenaffen, in sauberen Räumen, ganz offensichtlich gut betreut von Tierpflegerinnen, die sich gewissenhaft und durchaus liebevoll um ihre Schützlinge kümmern.

Nur langsam lassen uns die Filmemacher Claus Striegel und Christian Rost realisieren, dass wir uns mit ihnen und dem Kamerateam nicht in einem normalen Zoo befinden. Es gibt da störende Szenen, die unseren Zweifel nähren: Als eine Pflegerin zeigt, mit welcher Apparatur die Tiere aus ihren Lebensräumen geschleust werden, um sie zum Beispiel zu versorgen. Hätten sie nicht solche fahrbaren Käfige, heißt es dann, müssten sie die Tiere bei jeder Entnahme betäuben.

Anscheinend sind die »unter Menschen« geratenen Schimpansen gefährliche Wesen. Gefährlich für sich, für die Menschen und für ihresgleichen. Wieso das so ist, entfaltet dieser eindringliche Dokumentarfilm mit unaufhaltbarer Grausamkeit. Die Tiere sind Hinterbliebene einer jahrelangen Tierversuchsreihe, die von der österreichischen Pharmafirma Immuno von 1986 bis zu der Übernahme durch den Konkurrenten Baxter durchführen ließ. Angeblich sollten mit diesen Versuchen Heilmittel gegen die gefährlichen Geiseln wie HIV oder Hepatitis gefunden werden.

Der Film hat auch eine fast gute Botschaft

Schimpansen haben in der freien Natur eine Lebenswartung von 30 bis 40 Jahren. Als die Tiere auf undurchschaubare Wege - der Film benennt eindeutig Mechanismen der Korruption - nach Österreich geschleust wurden, waren sie noch Jungtiere. Jahrelang lebten sie in engen Käfigen, wurden als medizinische Versuchsobjekte missbraucht, verlernten jegliches soziales Verhalten entgegen jeglicher natürlicher Veranlagung.

Doch »Unter Menschen« hat auch eine fast gute Botschaft. Die US-Firma Baxter übergibt die Tiere in die Obhut einer karitativen Gesellschaft, die mehrere Gnadenhöfe für Tiere betreibt. Dort lernen sie gemeinsam mit ihren Tierpflegerinnen, ein Leben zu führen, das man wenigstens so nennen kann. Doch auch diese - nun, Idylle wollen wir es nicht nennen - Unterbringung ist gefährdet. Das Geld ist knapp. Allen Widrigkeiten zum Trotz wird ein großes Freigelände errichtet und in einem der stärksten Momente des Filmes sieht man, wie die Tiere ein Stück Freiheit und auch ihre Würde zurück gewinnen.

Dieser Dokumentarfilm ist ein zutiefst ergreifendes Zeugnis für die Mechanismen einer von Umsatzrenditen getriebenen Wissenschaft. Eine Szene könnte ein unvergesslicher Moment der Filmgeschichte werden: Da treffen zwei Schimpansen das erste Mal seit Jahren einen Artgenossen. Aufrecht gehend näheren sie sich und fallen ihn eine Umarmung, die nie mehr enden könnte.

Das sind Momente, für die Dokumentarfilme geschaffen wurden.

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Kinostart:21.03.2013
21.03.2013 in Deutschland
weitere Titel:
Unter Menschen hu
Genre:Dokumentarfilm
Herstellungsland:Deutschland, Österreich, Ungarn
Originalsprache:Deutsch
IMDB: 38
Offizielle Webseite:www.unter-menschen.de
Regie:Christian Rost
Claus Strigel
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Datenstand: 10.05.2022 01:39:09Uhr