Gundremmingen - Atomkraft Ade!

Deutschland 2022

Quelle: ARD-Pressebild
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Horst Diepenbruck, ehemaliger Geschäftsführer des Atomkraftwerks Gundremmingen, erinnert sich gern an seine persönliche "Glanzzeit“ in den 1960er-Jahren, die auch die große Zeit des Aufbruchs der zivilen Atomnutzung zur Stromerzeugung war. "Atoms for Peace“, wie es die Amerikaner nannten, um die Aufmerksamkeit von den Schattenseiten der Atomkraft, wie den zerstörerischen Bomben auf Hiroshima und Nagasaki, abzulenken.
Die junge Bundesrepublik hatte mit dem CSU-Politiker Franz Josef Strauß einen Atomminister, der vor allem für Bayern große Pläne hatte. Der bayerische Agrarstaat sollte sich mithilfe der Kernenergie unabhängig machen von der Kohle aus Nordrhein-Westfalen.
"Eine sehr schöne Zeit“, findet auch Horst Diepenbrucks Freund Norbert Eickelpasch, der als junger Kernphysiker über das Gundremminger Abenteuer, ein Leistungskraftwerk zur kommerziellen Stromerzeugung zu nutzen, promovierte. Weltweit berichtete er von den Erfahrungen mit diesem Realexperiment.
1962 begannen die Energiekonzerne RWE und Bayernwerk mit massiver staatlicher und europäischer Unterstützung in Gundremmingen den Bau von Block A. 1966 ging das Kernkraftwerk ans Netz; es entstanden zahlreiche neue Arbeitsplätze, die Dorfstruktur veränderte sich und Gundremmingen wurde im Laufe der Jahre zu einer der reichsten Gemeinden Bayerns.
Doch mit dem GAU von Tschernobyl änderte sich das Image der zivilen Nutzung von Atomkraft rapide. Immer größer wurden in ganz Deutschland die Proteste gegen den Bau neuer Kraftwerke, Reaktortransporte oder Wiederaufbereitungsanlagen wie in Whyl, Brokdorf, Gorleben, Biblis und Wackersdorf.
Zusehends blickten die Menschen in Süddeutschland skeptisch auf das Kernkraftwerk in der Nachbarschaft, demonstrierten in dem kleinen Ort und stießen dort auf das Missfallen der Gundremminger, die nach wie vor fest an "ihr“ Identitätskraftwerk und dessen Sicherheit glaubten. Dass Block A bereits 1977 einst den größten Totalschaden in einem deutschen Atomkraftwerk produzierte und zwei Jahre zuvor zwei Arbeiter bei Revisonsarbeiten ums Leben gekommen waren: bei vielen schnell verdrängt und vergessen.
Die Katastrophe von Fukushima im Winter 2011 war es, die die Bundesregierung endgültig dazu bewog, in Deutschland künftig komplett auf Atomkraft zu verzichten; nach und nach schalteten die noch bestehenden Kraftwerke ab. In Gundremmingen ging der letzte Block an Silvester 2021 vom Netz.
Schon vor dem Ukrainekrieg und der Energiekrisen hatten viele Gundremminger vorgesorgt und sich privat mit Notstromaggregaten ausgestattet, um für einen potenziellen Blackout gewappnet zu sein. Aktuelle Überlegungen, die Laufzeiten der Atomkraftwerke doch wieder zu verlängern und das KKW wieder ans Netz zu nehmen, empfinden sie als bittere Ironie.
Eine deutsche Atomgeschichte aus der Provinz, wo das große Experiment der zivilen Nutzung von Atomkraft für die Stromgewinnung jahrzehntelang zu Hause war.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Mittwoch, den 05.07.2023 um 22:00 Uhr auf BR.

05.07.2023
22:00
Livestream
Alternative Ausstrahlungstermine:
25.10.2023 23:45 Uhr WDR
05.07.2023 22:00 Uhr BR