Menschen hautnah: Ich weiß nicht mal, wie er starb

Wie ein Pflegeheim zur Corona-Falle wurde

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Als das Virus erkannt wurde, war es zu spät: Innerhalb weniger Tage infizierten sich 112 der 160 Bewohner*innen des Wolfsburger Hanns-Lilje-Heims mit Corona, 48 von ihnen starben. Auch viele Pflegekräfte erkrankten an Covid-19. Die diakonische Einrichtung für dementiell erkrankte Menschen war zur Todesfalle geworden. In der Öffentlichkeit entstand bald das Bild vom "Horrorheim". Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, anonyme Vorwürfe fanden weite Verbreitung.


Als das Virus erkannt wurde, war es zu spät: Innerhalb weniger Tage infizierten sich 112 der 160 Bewohner*innen des Wolfsburger Hanns-Lilje-Heims mit Corona, 48 von ihnen starben. Auch viele Pflegekräfte erkrankten an Covid-19. Die diakonische Einrichtung für dementiell erkrankte Menschen war zur Todesfalle geworden. In der Öffentlichkeit entstand bald das Bild vom "Horrorheim". Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, anonyme Vorwürfe fanden weite Verbreitung.

In einer aufwendigen Recherche rekonstruieren Arnd Henze und Sonja Kättner-Neumann die tragischen Wochen vor Ostern im Hanns-Lilje-Heim. Über mehrere Wochen konnten sie Pflegekräfte im Schichtdienst in den für Besucher*innen immer noch gesperrten Wohnbereichen begleiten. Sie sprachen mit Angehörigen von Verstorbenen und von Überlebenden, mit Ärzten, Verantwortlichen der Diakonie, dem Wolfsburger Oberbürgermeister als Leiter des Krisenstabes und mit Medizinethikern.

Viele der Beteiligten sind noch immer traumatisiert - von dramatischen Entscheidungen im Blindflug, der permanenten Überforderung und dem oft vergeblichen Kampf um das Leben der Erkrankten, von den Kontaktverboten und nicht zuletzt von den rigiden Isolationsmaßnahmen zum Schutz der Bewohner*innen. Denn niemand konnte den Menschen im Heim begreiflich machen, warum sie plötzlich von Pflegekräften in Raumanzügen in ihre Zimmer eingesperrt wurden. "Ich habe mich wie eine Gefängniswärterin gefühlt", erzählt eine Pflegerin.

Noch immer sucht das Heim einen Weg zurück in einen Alltag unter Corona-Bedingungen. Das Betretungsverbot gilt weiter, Besuche sind nur unter strengen Hygieneauflagen auf dem Außengelände erlaubt - Ein-schränkungen, die den Kontakt mit den dementiell Erkrankten für die Angehörigen kaum erträglich machen. Umso größer ist die Sorge vor dem Winter und einer zweiten Welle. "Ein Krieg ist irgendwann vorbei - Corona hört nicht auf", sagt eine Pflegerin aus Kroatien, die als Kind einst vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Niedersachsen geflüchtet war.

Die Dokumentation vermittelt einen exklusiven Einblick in die oft widersprüchlichen Erfahrungen der Betroffenen dieser Katastrophe. So entsteht ein Bild, in dem Dankbarkeit für das Engagement der Pflegekräfte und hilflose Wut über das einsame Sterben von Verwandten nebeneinander stehen. Fehler und Versäumnisse werden benannt, ohne zu verurteilen. Denn wichtiger als die Suche nach Schuldigen ist die Frage: Welche Lehren lassen sich aus den Erfahrungen von Wolfsburg ziehen, damit Pflegeheime nicht immer wieder zur Todesfalle werden? Und vielleicht noch dringlicher: Was muss getan werden, damit der Schutz vor dem Virus nicht zum sozialen Tod in Einsamkeit führt?

Die Sendung wird ausgestrahlt am Donnerstag, den 22.10.2020 um 22:45 Uhr auf WDR.

22.10.2020
22:45
Livestream
Audio-Format:stereo
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Farbe:farbe
Audio-Beschreibung: nein
Hörhilfe: ja
HDTV: ja
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Schlagwörter:Dokumentation/Reportage, Menschen im Alltag, Soziale Arbeit, Coronavirus
Alternative Ausstrahlungstermine:
22.10.2020 22:45 Uhr WDR