Der Gefährder

Ein Islamist packt aus

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Eren R. gilt als potenzieller Attentäter und Gefolgsmann zuerst des IS, dann von Al-Qaida in Deutschland. Erstmals ist er bereit, über seinen Lebensweg zu sprechen, um mit der Szene zu brechen. ZDF-Terrorismusexperte Elmar Theveßen hat ihn zum Interview getroffen.


Eren Recberlik - islamistischer Gefährder aus der Eifel. Er stand kurz davor, einen Anschlag zu verüben. Doch nun will er aussteigen. Und erzählt dem ZDF seine Lebensgeschichte.

"Mitten in der Stadt. Zu dem Zeitpunkt wären da natürlich auch Zivilisten gewesen, aber vor allem Sicherheitsbeamte." - Mit ruhiger Stimme erzählt der junge Mann, wie nahe er einem Terroranschlag gekommen ist. Nach dem Plan, der offenbar nie zur Ausführung kam, sollten bei einem Angriff gegen eine Behörde in einer deutschen Großstadt Dutzende Menschen sterben. Dabei wollten die Täter keinen Unterschied machen zwischen Staatsbediensteten und Zivilisten: "Es gibt so einen Satz, den ich mal aufgefangen habe in der Szene: Wo gehobelt wird, da fallen Späne", sagt Eren Recberlik.

Der 25-Jährige ist vom Verfassungsschutz als Gefährder eingestuft, als eine von tausend Personen, die nach Erkenntnissen der Ermittler eine Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland darstellen. Wir haben uns mit Recberlik in einem Hotel im niederrheinischen Mönchengladbach für ein mehrstündiges Interview verabredet. Er soll uns alles nochmal erzählen, was er bei unserem ersten Treffen schon ausführlich berichtet hatte. Ändert er seine Geschichte? Verwickelt er sich in Widersprüche? Meint er es ernst mit dem Ausstieg? Es ist ein Test für seine Glaubwürdigkeit. Denn wir prüfen alles, was er sagt, mit Dokumenten, die uns vorliegen, und im Gespräch mit deutschen Sicherheitsbehörden.

"Ich finde, dass meine Einstellung damals katastrophal war. Weil das nichts mit dem Islam zu tun hat, sondern eher mit Hass auf die Menschen und die westliche Gesellschaft." Manche würden Eren Recberlik am liebsten da sehen, wo er schon oft war - im Gefängnis. Er ist Muslim, aufgewachsen in der Eifel als katholischer Junge, von seiner Mutter im Stich gelassen. Erst Heim und Pflegekind, später dann Mitglied einer kriminellen Bande, gewaltbereit und skrupellos. Gewalt in deutschen Straßen fand er gerecht, verachtete den Staat. Und nun ist er ein islamistischer Gefährder, der aussteigen will, für immer. "Wenn ich zurückblicke", sagt Eren, "kenne ich mich als Person gar nicht mehr. Ich habe mich ja komplett gedreht und finde, dass meine Einstellung damals katastrophal war. Weil das nichts mit dem Islam zu tun hat, sondern eher mit Hass auf die Menschen und die westliche Gesellschaft."



Noch nie hat ein Gefährder so offen geredet. Detailliert berichtet er von seinen Jahren im katholischen Kinderheim. Erst im Alter von zwölf Jahren erfuhr er, dass er in Wirklichkeit eine muslimische Mutter hat, die auf einmal vor der Tür der Pflegefamilie steht, um ihn mitzunehmen. Von da an, so sagt Eren, sei alles schiefgelaufen, aber die Schuld dafür gibt er nicht anderen, sondern nur sich selbst. Nachdem er mit seiner Mutter nicht zurechtkam, landete er wieder im Heim, beging Straftaten und wurde in Rheydt zum Anführer einer Jugendbande. Diebstähle, Einbrüche, Gewalttaten, die ganze Palette.

Eren schoss mit Softguns auf Passanten und Polizisten - aus Langeweile, wie er sagt. Es war eine Zeit der Enthemmung. Die Gangmitglieder waren ihren Familien und der Gesellschaft offenbar gleichgültig, also rächten sie sich. Es ging nicht so sehr um das Geld aus den Raubzügen, sondern um Anerkennung innerhalb der Gruppe und darüber, ungehindert, ungestraft alles tun zu können. Respekt vor dem Leben und der Unversehrtheit anderer? Beinahe null.

Und dann glaubte der Intensivstraftäter, damals 16 Jahre alt, immer noch auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit, all das zu finden - bei den "Brüdern", den Glaubensbrüdern einer Moschee in Mönchengladbach-Eicken, die ein Hort des Salafismus war, einer extremistischen Strömung im Islam. Ihre Anhänger sehen sich und ihre Religion als Opfer westlicher Politik.

Auch Eren sah sich als Opfer, das verbindet. Er genoss den Zusammenhalt der Islamisten und die gemeinsame Provokation der Mitbürger, die sich über die öffentlichen Gebete auf dem Marktplatz von Eicken aufregten. Die Botschaft, so erinnert sich Recberlik, sollte eindeutig sein: "Wir verabscheuen euch und das westliche Leben. Wir machen hier, was wir wollen." Auf einmal hatten Diebstähle und Einbrüche für ihn eine neue Bedeutung. Ohne das Wissen der anderen Bandenmitglieder zweigte er Geld aus dem Verkauf der Beute ab für seine neue Familie: "Man nimmt das Geld ja von den Ungläubigen und gibt es den Gläubigen."

Bald danach kam er zum ersten Mal ins Gefängnis, in die Justivollzugsanstalt Iserlohn. Katja Wöhrmann, die Sozialarbeiterin der JVA, erinnert sich: "Er hat mitgearbeitet am Vollzugsziel, er wollte vermittelt werden in eine Wohngruppe, in ein Sportinternat. Und das war im November plötzlich alles weg."

Wöhrmann und ihr Kollege Olaf Fiedler, Leiter der Sportabteilung der JVA, waren zutiefst enttäuscht, als gegen Ende seiner Haftzeit 2014 Erens islamistische Gesinnung deutlich wurde. Bis dahin galt er als Vorbild, Kapitän der Fußballmannschaft, Gerätewart in der Sporthalle, mit besten Chancen auf einen Platz in einem Sportinternat. Aber er beschäftigte sich mithilfe eingeschmuggelter Mobiltelefone intensiv mit islamistischer Propaganda, hatte Kontakt zu einem Anführer der gewalttätigen Salafistenszene in Deutschland, Abu Ibrahim alias Hasan Keskin.

Nach seiner Entlassung suchte Eren Recberlik die Nähe von Bernhard Falk. Der ehemalige Linksterrorist wird von den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder mit Kontakten zur Terrororganisation Al-Kaida eingestuft. Mit ihm will Eren Anschlagspläne diskutiert haben, was Bernhard Falk gegenüber dem ZDF entschieden zurückweist: "Das habe ich überhaupt nicht", so Falk, "das ist ja ein Mensch, der unter Bewährung steht. Wir hatten ganz andere Themen, als irgendwie militante Aktivitäten zu besprechen." Es habe nur ein gezieltes Treffen gegeben und mehrere "zufällige" Begegnungen. Bei Telefonaten sei es um Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Ratschläge zum Verhalten bei Überwachung und Durchsuchungen gegangen.

Eren Recberlik fiel damals 2015 wieder zurück in alte Muster, beging Straftaten, landete erneut in Haft, zeigte offen seine islamistische Gesinnung, griff einen Gefängnisaufseher an und musste dafür in der JVA Aachen büßen - in Isolationshaft.

Unmittelbar nach der Haft war der damals 23-Jährige zur Gewalt entschlossen. Die Sicherheitsbehörden stuften ihn als Gefährder ein, sind sich aber bis heute nicht sicher, ob er selbst Anschläge verüben wollte. Eren behauptet, zu logistischer Unterstützung sei er bereit gewesen.

Vom Jungen aus dem Kinderheim zum Gangmitglied, vom talentierten Fußballer zum überzeugten Islamisten. Von Anis Amri, dem Terroristen und Mörder vom Berliner Breitscheidplatz hätte ihn am Ende nichts mehr unterschieden. Und Eren hätte die Gelegenheit gehabt. Denn er arbeitete als Ordner und Wachmann für eine Sicherheitsfirma - bei Fußballspielen zum Beispiel und bei der Tour de France.

Am 2. Juli 2017 startete die erste Etappe des Gesamtfelds in Düsseldorf. Die Begleitautos wurden von einem Sicherheitsdienst bewacht. Hinter dem Dorint-Hotel in Mönchengladbach sollte Eren aufpassen, dass sich niemand an den Fahrzeugen zu schaffen macht. "Sprengsätze", sagt uns der Gefährder im Interview, "wenn ich das gemacht hätte, was man vermutete, nämlich Terroranschläge zu verüben, wäre hier die optimale Möglichkeit gewesen."

Dass ein Krimineller und gefährlicher Islamist von Sicherheitsfirmen für Veranstaltungen beschäftigt wird, ist nach ZDF-Recherchen kein Einzelfall. Kleine Subunternehmen, die oft für große Eventagenturen arbeiten, müssen bei längerfristig Beschäftigen die fachliche Eignung der Mitarbeiter nachweisen, inklusive polizeilichem Führungszeugnis. Aber bei Aushilfskräften, kurzfristig auf 450-Euro-Basis angeheuert, müsste das Gewerbea ufsichtsamt prüfen. Das hat nur weder das Personal noch die Zeit für so eine kurzfristige Prüfung. So konnte Eren Recberlik für die Tour de France arbeiten.

Doch an jenem 2. Juli 2017 stürmte ein Spezialeinsatzkommando der Polizei Recberliks Wohnung, um ihn wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat festzunehmen. Monate danach wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden gab es keinen Anschlagsplan. Seit diesem Erlebnis, so sagt Eren Recberlik, wolle er raus aus dem Islamismus - endgültig. Das habe auch und vor allem mit einer Person in seinem Umfeld zu tun: "Sie hat mir etwas gegeben, was ich lange gesucht habe: Zusammenhalt, familiäre Bindung, also all das, wonach ich damals in der Szene gesucht habe."

Eren hat dieser Bezugsperson seine ganze Geschichte mit allen Details erzählt, und trotz allem stehe sie zu ihm: "Sie hat mich als Mensch wahrgenommen, nicht als meine Vergangenheit, sondern mit meinem Charakter, wie ich jetzt bin."

Aber meint er es wirklich ehrlich? Immerhin geht Eren Recberlik mit seinem vollen Namen, erkennbar für jedermann vor die Kamera, um seine Geschichte zu erzählen. Das könnte nicht ungefährlich sein, wenn er als Verräter gesehen wird. Noch gilt er auch als Gefährder. Als im April 2018 ein Kleinbus in ein Straßencafé in Münster raste, klingelte die Polizei auf der Suche nach Mitwissern auch bei Recberlik.

Doch er will nie mehr in den Knast. Er ist 25, hat eine feste Beziehung, einen Arbeitsplatz, wirkt entschlossen. Der Staatsschutz hält es für möglich, dass er es schaffen kann. Aber schafft er es? Die Sozialarbeiterin Wöhrmann und der Sportabteilungschef Fiedler in der JVA Iserlohn sind optimistisch, mit aller Vorsicht: "Es darf nicht etwas passieren, was Eren aus der Bahn wirft, dann ist er in Gefahr", meint Katja Wöhrmann. Eren Recberlik will jetzt ein Vorbild sein, damit sich auch andere vom Irrsinn des Islamismus abwenden. Aber das geht nur, wenn er den Ausstieg wirklich schafft.

Film von Elmar Theveßen und Marina Kunke

Die Sendung wird ausgestrahlt am Donnerstag, den 22.08.2019 um 22:15 Uhr auf phoenix.

22.08.2019
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Schlagwörter:Terrorismus, Dokumentation/Reportage, Porträt/Biografie
Alternative Ausstrahlungstermine:
22.08.2019 22:15 Uhr phoenix
21.12.2018 02:15 Uhr PHOENIX
16.12.2018 23:15 Uhr PHOENIX
11.12.2018 16:00 Uhr PHOENIX