Annette von Wangenheim
Annette von Wangenheim (* in Grevenbroich) ist eine deutsche Dokumentarfilmerin, Regisseurin, Autorin und Musikpädagogin.
Zu ihren bekanntesten Werken zählen Feuer bewahren – nicht Asche anbeten. Der Choreograf Martin Schläpfer, Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer weißen Welt, und Pagen in der Traumfabrik. Schwarze Komparsen im deutschen Spielfilm. Etliche Filme wurden zu Klassikern in ihrem Genre, weltweit im Fernsehen ausgestrahlt und auf internationalen Filmfestivals präsentiert.
Annette von Wangenheim kam als älteste Tochter von Jobst von Wangenheim (1927–2019) und seiner Ehefrau Anneliese von Wangenheim (geborene Schmitt 1923–2004) in Grevenbroich zur Welt. Sie hat eine jüngere Schwester, die Grafikerin und Pädagogin Carolin von Wangenheim. Ihre Kindheit verbrachte sie in Meerbusch, war Schülerin und später auch Jungdozentin an der Städtischen Musikschule Meerbusch unter Leitung von Ingrid Kuntze. Sie besuchte den Ballettunterricht von Fe Reichelt in der Werkstatt Düsseldorf, aus der später das Tanzhaus NRW hervorging. Mit 18 Jahren schrieb sie ihre erste Konzertkritik für die Rheinische Post Düsseldorf. Da es damals nur wenige ausgebildete Musikjournalisten gab, entschied sie sich zum Studium der Musikwissenschaften im Hauptfach und promovierte bei Dietrich Kämper 1984 mit magna cum laude. Ihre Dissertation Béla Bartók. Der wunderbare Mandarin. Von der Pantomime zum Tanztheater erschien 1985.
Während ihres Studiums baute sie die Pressestelle des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) in Bonn auf und leitete sie von 1981 bis 1988. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Tätigkeit war die Redaktion der Verbandsseite in der Neuen Musikzeitung (NMZ). Das Europäische Musikfest der Jugend 1985 wurde zum größten Ereignis ihrer Pressearbeit für den VDM. Über 9000 Jugendliche aus 23 Ländern versammelten sich in ganz Deutschland zu Konzerten mit ihren Partnermusikschulen und gaben ein gemeinsames Abschlusskonzert im Olympiazentrum München.
Annette von Wangenheim schrieb von 1976 bis 1986 Kritiken und Reportagen für das Feuilleton der Rheinischen Post Düsseldorf. Sie war freie Korrespondentin der führenden Musik- und Ballettfachzeitschriften in Deutschland und publizierte regelmäßig in die Neue Musikzeitung (NMZ), Neue Zeitschrift für Musik (NZ), Musica, Das Orchester, Concerto, Das Tanzarchiv – Deutsche Zeitschrift für Tanzkunst, das Ballett-Journal, ballett international und tanz.
1987 kam sie als freie Mitarbeiterin zum Zentraldienst Musik der Deutschen Welle Köln (DW), machte Hörfunksendungen für den Deutschlandfunk und arbeitete als TV-Reporterin für die DW-Fernsehprogramme e-te-s, Boulevard, Zoom, Afrika heute, Prisma, Szene Europa und Semanal.
Als die Deutsche Welle ihre Fernseharbeit in Köln einstellte, wechselte von Wangenheim zum Westdeutschen Rundfunk (WDR) und startete dort ihre Laufbahn als Dokumentarfilmerin. Ihre Schwerpunktthemen lagen im Bereich Musik, Tanz, außereuropäische Kulturen und deutsche Kolonialgeschichte. Sie zählte zum festen Kreis freier Autoren der Redaktion Musik (Rudolf Heinemann, José Montes-Baquer), Geschichte (Beate Schlanstein), Länder-Menschen-Abenteuer (Manfred Pütz), 3sat (Reinhard Wulf) und Arte (Sabine Rollberg).
Immer wieder gelang es ihr, mit führenden Historikerinnen wie Paulette Reed Anderson, Patricia Stöckemann oder Laure Guilbert[ 11] für ihre Filme zusammenzuarbeiten. Sie spürte unbekanntes historisches Film- und Fotomaterial auf, fand und befragte die letzten noch lebenden Zeitzeugen zu unterschiedlichen Themen.
So wurden zum Beispiel Theodor Michael und seine Schwester Juliane Michael zu den Hauptprotagonisten in Pagen in der Traumfabrik,[ 12] [ 13] die Tänzerin Lilian Karina in Tanz unterm Hakenkreuz[ 14] [ 15] und Anna Markard in Kurt Jooss.Tanz als Bekenntnis.[ 16] [ 17] [ 18] Als weitere prominente Zeitzeugen sind die Tänzer Geoffrey Holder, Carmen de Lavallade, Arthur Mitchell und Maurice Hines in Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer weißen Welt[ 19] [ 20] zu sehen sowie der Maler Pierre Soulages in Eleganz des Blicks. Der Fotograf Willy Maywald.[ 21]
In Die Pferdetänzer am Nil. Ein Scheich, ein Dorf und seine Geschichte dokumentierte sie die Kunst des arabischen Pferdetanzes und die Malerei des Beduinen-Nachfahren und Autodidakten Sheikh Ramadan Swelem. Er zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern Ägyptens und wurde von der deutschen Galeristin Ursula Schernig entdeckt und gefördert.
Annette von Wangenheim drehte mit Explosion der Stille den bisher einzigen deutschen Film über Frauen im Jemen.[ 22]
In Offene Wunde Palästina zeigte sie das Leben der Exilpalästinenser im Flüchtlingslager Jarmuk, einem ehemaligen Stadtteil von Damaskus und der damals gefühlten Hauptstadt der Palästinenser in der Diaspora.
Mit Geheimnisvolles Kyoto. Schreine, Tempel und die Kunst des Bogenschießens begleitete sie den 21. kaiserlichen Bogenbaumeister Kanjuro Shibata in seiner Werkstatt und seinem Alltag in Kyoto; ein Film über den „Weg des Bogens – Kyudo“ in Japan.
Für ihre Musik- und Tanzfilme nahm von Wangenheim zahlreiche Konzerte und Ballettvorstellungen für das Fernsehen auf und führte die TV-Regie. Von ihr existieren die einzigen kompletten Mitschnitte der beiden Jooss-Ballette Pavane auf den Tod einer Infantin und Großstadt, für die die Jooss-Tochter und -Rechteverwalterin Anna Markard zu ihren Lebzeiten ihr Einverständnis gab.[ 23]
Das Doppelportrait Nijinsky und Neumeier. Eine Seelenverwandtschaft im Tanz enthält zentrale Teile von John Neumeiers Ballett Nijinsky, das sie für diesen Zweck komplett aufgezeichnet hat.[ 24]
Für Feuer bewahren – nicht Asche anbeten[ 25] nahm sie mehrere Ballette von Martin Schläpfer als TV Regisseurin auf. Sein DEEP FIELD (Auftragskomposition Adriana Hölszky) wurde in der vollständigen Fassung auf Arte concert ausgestrahlt. Die Langfassung des Portraits Feuer bewahren – nicht Asche anbeten. Der Choreograf Martin Schläpfer lief im Kino.[ 26] [ 27]
Annette von Wangenheim lebt seit 2010 in Karlsruhe. Nach ihrer Tätigkeit als persönliche Referentin der Ballettdirektorin Birgit Keil am Badischen Staatstheater[ 28] von 2010 bis 2012 hat sie die Musikpädagogik wieder verstärkt, und die freie Waldorfschule Karlsruhe wurde zu ihrem Arbeitsmittelpunkt. Dort unterrichtete sie vier Jahre Musik für die Jahrgangsstufen 4 bis 8, leitete zwölf Jahre das Blockflötenensemble der Schule und zählt zum Kreis der Instrumentalpädagogen, die in der Waldorfschule Privatmusikunterricht erteilen. Die schwierige Zeit der Covid-19-Pandemie brachte sie auf die Idee, auch open air und mit social distance zu musizieren. So kam es 2020, als Das Fest ausfallen musste, zum ersten Flötenfest auf der Bootsinsel in der Günther-Klotz-Anlage. Heute finden ihre Schülerkonzerte im Musentempel[ 29] der Stadt Karlsruhe statt.