Der Wert der Artenvielfalt (2/2)

Die Vielfalt des Lebens auf der Erde ist bedroht. Lebensräume verschwinden – und mit ihnen nicht nur bedrohte Tierarten. Auch sauberes Wasser, fruchtbare Böden und frische Luft sind regional längst Mangelware – all das, was auch wir Menschen zum Überleben brauchen. Nirgendwo auf der Erde wurden mehr Arten wildlebender Tiere und Pflanzen dokumentiert als im peruanischen Manu-Nationalpark. Darunter auch rund zehn Prozent aller weltweit bekannten Vogelarten. Farbenprächtige Papageien und schillernde Kolibris gehören zu den bekanntesten Vertretern. Jaguare und Tapire schleichen durch die Wälder, während Riesenotter und Kaimane in den Gewässern jagen. Der Manu-Nationalpark in Peru ist größer als Sachsen und überwindet zwischen den östlichen Ausläufern der Anden und dem Tiefland des Amazonas eine Höhendifferenz von rund 4000 Metern. Gebirge, Bergwälder und ein riesiger Tieflandregenwald kennzeichnen die Region. Es ist "der" Hotspot der Artenvielfalt, daher wurde das Gebiet bereits vor dreißig Jahren von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Schutzgebiet in Gefahr Sprungmarkennavigation im Beitrag Schutzgebiet in Gefahr UN-Biodiversitäts-Konferenz Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Interview mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze Interview mit Dr. Christof Schenk, ZGF Der Manu-Nationalpark Team Diese Superlative und der bestehende Schutz sollten ausreichen, um das Gebiet zu erhalten. Doch die Bankenkrise und das daraus resultierende niedrige Zinsniveau ließen Banker und Privatleute nach krisensicheren Kapitalanlagen suchen: Gold! Seitdem strömten Zehntausende illegale Goldwäscher in die Umgebung des Nationalparks, Regenwald wird gerodet, der Lebensraum der Tiere verschwindet. Zur Gewinnung des Edelmetalls wird Quecksilber verwendet, das die Flüsse verseucht und sowohl Wildtiere als auch Menschen vergiftet. Zurück bleibt eine unbewohnbare Mondlandschaft. Eine weitere Gefahr stellen illegale Plantagen von Coca-Sträuchern dar, aus denen Kokain für den Drogenhandel gewonnen wird. Weitere Regenwaldzerstörung und die Ausbreitung von Gewalt sind die Folge. Das Paradies ist bedroht, doch mafiöse Strukturen und Korruption erschweren es den Behörden, durchzugreifen. Für Dr. Christof Schenck, Direktor der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, sind diese Entwicklungen besonders schmerzlich. Vor rund dreißig Jahren baute er in Manu ein vorbildliches Projekt zur Erforschung und zum Schutz der stark bedrohten Riesenotter auf, das noch heute fortgeführt wird - inzwischen von peruanischen Biologen. Der Erfahrungsschatz des Biologen Christof Schenck ist enorm. Er weiß, was es heißt, mit den Knöcheln im Schlamm zu stecken, während einen die Moskitos aussaugen. Doch auch als Manager der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt kennt er sich bestens aus. Heute ist er einer der führenden Köpfe, wenn es um den Erhalt der Artenvielfalt geht. Der Versuch, die Zerstörung der Manu-Region zu stoppen, wird eine große Herausforderung für ihn und sein internationales Team. Wenn es nicht gelingt, das artenreichste Gebiet der Erde zu bewahren, eine biologische Schatzkammer und ein Naturerbe der gesamten Menschheit - was dann? UN-Biodiversitäts-Konferenz in Ägypten Sprungmarkennavigation im Beitrag Schutzgebiet in Gefahr UN-Biodiversitäts-Konferenz Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Interview mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze Interview mit Dr. Christof Schenk, ZGF Der Manu-Nationalpark Team UN-Biodiversitäts-Konferenz in Ägypten Von Doris Ammon, Redaktion Umwelt Die UN-Biodiversitäts-Konvention (Convention on Biological Diversity, CBD) – hinter dem unhandlichen Wort verbirgt sich ein internationales Umweltabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt, das 1993 in Kraft getreten ist. 168 Länder haben sich darin verpflichtet, die Lebensräume von Tieren und Pflanzen zu erhalten. Die Artenschutz-Übereinkunft ist die kleine Schwester der Klimakonvention: Beide Abkommen wurden 1992 auf dem UN-Klimagipfel in Rio de Janeiro aus der Taufe gehoben, beide sollen mit einer Serie von Folgekonferenzen vorangetrieben werden. Doch während die Weltklimakonferenzen weltweit immer wieder Schlagzeilen machen, sind die Konferenzen, die den Artenschutz umsetzen sollen, weniger bekannt. Bildquelle: ap Biodiversität – weit mehr als Artenvielfalt In Deutschland werden beide Begriffe mehr oder weniger synonym verwendet. Tatsächlich umfasst der Kampf für Biodiversität weit mehr: Schutz von bedrohten Arten, Erhalt der natürlichen Lebensräume, nachhaltige Nutzung natürlicher Rohstoffe, Wasser- und Ernährungssicherheit für Milliarden von Menschen. Studien zeigen, dass die biologische Vielfalt überall auf der Welt in rasantem Tempo schwindet. Noch gut in Erinnerung sind hierzulande die Studien, die 2017 erstmals langfristig das erschreckende Ausmaß des Insektensterbens nachwiesen. Ein massives Vogelsterben geht damit einher. Das Phänomen ist nicht auf Insekten und nicht auf Deutschland beschränkt: Erdumspannend ist die dramatische Krise der Lebensvielfalt gut dokumentiert. So sind in wenigen Jahrzehnten die Wirbeltierbestände um fast zwei Drittel geschrumpft. Und die Aussichten sind alles andere als rosig. Immer schneller sterben Arten aus, weil sie dem Druck von Mensch und Industrie nicht mehr gewachsen sind. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) spricht von einem alarmierenden Trend, der die Wirtschaft, Ernährungssicherheit und damit die Lebensgrundlage von Menschen überall auf der Welt gefährde. "Wenn von biologischer Vielfalt die Rede ist, klingt das für viele Leute akademisch und weit weg von ihrem Alltag", konstatiert der IPBES-Vorsitzende Robert Watson. "In Wahrheit ist das die Grundlage für unsere Nahrung, unser sauberes Wasser und unsere Energie. Biodiversität ist ausschlaggebend für unser Überleben, unsere Kultur, unsere Identität und unsere Lebensfreude." Bildquelle: imago/blickwinkel Erschreckender Artenschwund Laut Weltnaturschutzunion (IUCN, International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) galten 2007 rund 12 Prozent der Arten der Vögel, 20 Prozent der Säugetiere, 29 Prozent der Amphibien und 33 Prozent der Nacktsamer unter den Pflanzen als bedroht. Evolutionsbiologen sprechen längst von der sechsten globalen Aussterbekrise, die dem Planeten nun in seiner mehr als dreieinhalb Milliarden Jahre währenden biologischen Evolution widerfährt. Die vorhergehende, fünfte Aussterbekatastrophe, die das Ende der Dinosaurierherrschaft auf der Erde markierte, ist schon mehr als 65 Millionen Jahre her. Die sechste, nun menschengemachte Aussterbewelle könnte in der Dimension diesem ökologischen Drama in nichts nachstehen. Dänische Forscher der Universitäten von Aarhus und Göteborg haben kürzlich ausgerechnet, dass die Einbrüche in der Lebensvielfalt einschneidende Wirkungen für Abertausende Generationen haben wird. Bildquelle: imago/blickwinkel "20 Ziele bis 2020" Angesichts dieses erschreckenden Raubbaus an der Natur erscheinen die verabschiedeten Programme der bislang 13 Biodiversitäts-Konferenzen ambitioniert. "20 Ziele bis 2020" – die sogenannten Aichi-Ziele – definieren, was die 168 Unterzeichner-Staaten der Biodiversitäts-Konvention bis 2020 erreichen wollen: Nachhaltigen Konsum, die Verlustrate von Waldgebieten und anderen Lebensräumen zu halbieren, nachhaltige Land- und Fischwirtschaft, Schutz von Korallenriffen und ein umweltschonender Tourismus. Konkret sollen mindestens 17 Prozent der globalen Landfläche und zehn Prozent der Meeresfläche bis 2020 unter Schutz gestellt sein. Wissen, Innovationen und Praktiken von Ureinwohnern, die für den Naturschutz relevant sind, sollen respektiert werden. Biopiraterie soll verhindert werden, wirtschaftliche Gewinne aus der genetischen Nutzung von Lebewesen gerecht zwischen Ursprungsländern und Industrie verteilt werden. Um eine völkerrechtlich verbindliche Übereinkunft hierzu wurde jahrelang gerungen, und noch immer sind einzelne Punkte strittig. Bis 2020 soll jedes Land einen effektiven Aktionsplan zum Schutz der Biodiversität entwickelt haben. Deutschland hat seine Strategie bereits im Jahr 2007 vorgelegt. Dennoch geht auch hierzulande das Artensterben weiter. Bildquelle: imago/imagebroker Links Internationale Übereinkommen UN-Konferenz zur Biodiversität 2018 in Sharm el Sheik (engl.) Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Bundesumweltministerium, BMU) Bundesamt für Naturschutz: Übereinkommen über die biologische Vielfalt Strategischer Plan zur Biodiversität (Aichi-Ziele, engl.) UN-Dekade der biologischen Vielfalt Weitere internationale Abkommen zum Naturschutz Nationale Strategien Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (BfN) Strategien der Bundesländer zur biologischen Vielfalt (BfN) Themenseite Biologische Vielfalt (BMU) Weitere Informationen zur Artenvielfalt Rote Liste der bedrohten Arten weltweit (IUCN, engl.) Rote Listen gefährdeter Biotoptypen, Tier- und Pflanzenarten sowie der Pflanzengesellschaften in Deutschland (BfN) Manu Nationalpark in Peru Zoologische Gesellschaft Frankfurt e.V. Servicio Nacional de Areas Naturales Protegidas por el Estado (span.) Bale Mountains Park in Äthiopien Schutz des Bale Mountains Nationalparks (Zoologische Gesellschaft Frankfurt e.V.) Bale Mountains Nationalpark Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Sprungmarkennavigation im Beitrag Schutzgebiet in Gefahr UN-Biodiversitäts-Konferenz Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Interview mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze Interview mit Dr. Christof Schenk, ZGF Der Manu-Nationalpark Team Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Von Doris Ammon, Redaktion Umwelt Seit vielen Jahren nimmt die biologische Vielfalt in Deutschland ab, Arten sterben aus, natürliche Lebensräume fallen Mensch und Wirtschaft zum Opfer. Um den Rückgang aufzuhalten, ist Deutschland dem UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) beigetreten. Alle Mitgliedsstaaten des Übereinkommens verpflichten sich, auf nationaler Ebene Strategien zur Umsetzung des Übereinkommens zu erarbeiten. Deutschland hat seine Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) schon im Jahr 2007 beschlossen. Bildquelle: imago/Eibner Ziele und Maßnahmen Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt besteht aus 330 Qualitäts- und Handlungszielen sowie rund 430 Maßnahmen. Eine ganze Menge also. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, den Artenschwund aufzuhalten und eine Trendwende einzuleiten. Durch Zersiedelung und intensive Landwirtschaft gehen noch immer viele Lebensräume verloren. Monokulturen, Überdüngung, das hohe Verkehrsaufkommen mit vielen Straßen, Lärm und Lichtverschmutzung setzen Insekten, Vögeln und anderen Tieren zu. Im Supermarkt und auf den Feldern werden alte Nutzkulturen durch hochgezüchtete Massenware verdrängt, manche Sorten stehen kurz davor, für immer verloren zu gehen. Biotope wie Teiche, Auen, wilde Wiesen oder dichtes Unterholz haben in unserer Kulturlandschaft immer weniger Platz. Viele Interessen treffen aufeinander Warum ist der Schutz von Biodiversität hierzulande so schwierig? Zum einen liegt das daran, dass nicht nur das Umweltministerium, sondern auch Agrar-, Verkehrs- und Wirtschaftsministerium bei Leitlinien und Mittelzuweisung mitreden. Zum anderen ist die Umsetzung vieler Maßnahmen Ländersache, so dass manches verwässert oder erst gar nicht umgesetzt wird. Auch die EU setzt eher auf die Förderung der Landwirtschaft als auf die Förderung von Umwelt- und Naturschutz. Bund, Länder, Gemeinden, Verbände und die Wirtschaft müssen sich auf gemeinsame Ziele und Programme einigen. Projekte müssen konzipiert, Förderanträge gestellt, Richtlinien definiert und die Umsetzung kontrolliert werden. Eine Mammutaufgabe. Das Miteinander von Mensch und Natur ist zudem nicht so gut erforscht wie man meinen möchte. Warum manche Wildbrücken über die Autobahn funktionieren und andere nicht, ist nicht immer klar. So mancher gutgemeinte Fledermaustunnel entpuppte sich schon als Steuergrab, und auch Kröten folgen nicht unbedingt den angelegten Unterführungen. Reiztehma Glyphosat Dennoch gibt es Fortschritte. Auch beim Reizthema Pestizide und Glyphosat. Das Umweltbundesamt will den Einsatz in Deutschland nur noch unter strengeren Auflagen für den Naturschutz zulassen. Ab 2020 sollen Bauern im Schnitt zehn Prozent ihrer Ackerfläche für den Schutz der biologischen Vielfalt nutzen müssen, wenn sie Pflanzenschutzmittel anwenden wollen, die die Artenvielfalt nachweislich schädigen. Ein völliges Verbot von Pestiziden wird es aber so bald nicht geben, auch weil unbedenkliche Alternativen fehlen. Die Bauern zu mehr Artenschutz zu zwingen, schmälert deren Erträge. Doch die sind schon jetzt zu teuer erkauft durch den Schaden an der Natur. Bildquelle: imago/imagebroker Interview mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze zu Biodiversität Sprungmarkennavigation im Beitrag Schutzgebiet in Gefahr UN-Biodiversitäts-Konferenz Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Interview mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze Interview mit Dr. Christof Schenk, ZGF Der Manu-Nationalpark Team Rückgang der Artenvielfalt in Deutschland Frage: 2007 wurde die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) vom Bundeskabinett beschlossen. Seitdem ist eine Vielzahl an Übereinkünften und Programmen verabschiedet worden. Trotzdem geht die Artenvielfalt immer weiter zurück. Woran liegt das? Svenja Schulze: Die Natur in Deutschland wird nach wie vor über ihre Leistungsfähigkeit hinaus strapaziert. Mehr als die Hälfte unserer Fläche wird landwirtschaftlich genutzt und das viel zu oft viel zu intensiv. Dazu kommt: Lebensräume von Wildtieren, Vögeln und Insekten werden zerschnitten durch den Ausbau von Verkehrswegen und das Wachstum von Siedlungen und Gewerbeflächen. Handlungsbedarf Frage: Wo besteht aus Ihrer Sicht am meisten Handlungsbedarf? Svenja Schulze: Für eine echte Trendwende zum Schutz der Biodiversität brauchen wir vor allem ein Umsteuern in der Landwirtschaftspolitik. Insekten- und Vogelarten fehlen Rückzugsräume, Nahrung und Nistmöglichkeiten. Das Grundwasser wird mit Nitrat belastet, die Äcker überdüngt und mit Pflanzenschutzmitteln überschüttet. Mangelhafte Kontrolle? Frage: Ist nicht ein Teil-Problem aller Programme und Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität auch die mangelhafte Kontrolle? Wie wollen Sie beispielsweise kontrollieren, ob die Bauern ihre Feldrandstreifen wirklich nicht mit Pestiziden belasten? Svenja Schulze: Wenn auf Ackerflächen keine Pestizide mehr eingesetzt werden, wird das innerhalb kürzester Zeit auf dem Feld sichtbar. Ungespritzte Randstreifen mit Klatschmohn und Kornblume, Blühflächen und Brachen, lassen sich von intensiv bewirtschafteten Flächen problemlos unterscheiden. Aber sie haben schon Recht, die Kontrolle ist tatsächlich nicht in jedem Fall so einfach. Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich jedoch rasant weiter, Digitalisierung und Satellitentechnik helfen hier. Mit EU-Geldern finanzierte Maßnahmen werden schon heute sehr umfassend kontrolliert. Kleinteilige Maßnahmen und Ziele Frage: Die Nationale Biodiversitäts-Strategie (NBS) besteht aus 330 Qualitäts- und Handlungszielen sowie rund 430 Maßnahmen – es besteht etwas der Eindruck, dass man sich im Klein-Klein verzettelt. Wie wollen Sie dem entgegenwirken? Fehlt es nicht weniger am Geld als am effektiven Management? Svenja Schulze: Die Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt ist komplex, weil die Ursachen des Biodiversitätsverlustes und die möglichen Gegenmaßnahmen so komplex sind. Sie reichen ja weit über den klassischen Naturschutz hinaus in viele andere Politikfelder hinein. Daher haben wir für den Schutz der biologischen Vielfalt prioritäre Ziele und zentrale Themenbereiche definiert. Die Finanzierung ist ein zentrales Thema. Oft und gerade in der Landwirtschaftsförderung, ist allerdings das Hauptproblem nicht, dass es insgesamt an Geld mangelt. Problematisch ist eher, dass die bisherige Förderpolitik die intensive Landwirtschaft fördert, nicht die Schonung von Natur, Ressourcen, Wasser und Insekten. Durchsetzung von Naturschutz gegenüber anderer Ressorts Frage: Was tut das BMU/die Bundesregierung, um den Schutz von Biodiversität gegen Zersiedelung und intensive Landwirtschaft zu fördern bzw. durchzusetzen? Schließlich reden in der Umweltpolitik nicht nur das Umweltministerium, sondern auch Agrar-, Verkehrs- und Wirtschaftsministerium mit. Außerdem ist die Umsetzung von vorgeschlagenen Maßnahmen Sache der Bundesländer, die Vorschläge können durch diese konterkariert werden. Wie können Sie in dieser Konstellation Naturschutz effektiv durchsetzen? Svenja Schulze: Für viele der geplanten Maßnahmen brauchen wir die Zustimmung der Länder und die der ganzen Bundesregierung, allen voran des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Auf Bundesebene haben wir hierfür im Koalitionsvertrag gute Grundlagen geschaffen. So haben wir unter anderem vereinbart, einen umweltgerechteren Umgang mit Pestiziden zu etablieren, ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ zu beschließen und einen „Masterplan Stadtnatur“. Auch mit den Bundesländern stehen wir im regelmäßigen Austausch. Für den Schutz der biologischen Vielfalt ist eine breite gesellschaftliche Unterstützung notwendig. Daher haben wir schon vor einigen Jahren einen umfassenden Dialogprozess zur Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt ins Leben gerufen. Die Wirtschaft ins Boot holen Frage: Welche Strategien haben Sie, um die Wirtschaft mit ins Boot zu holen? Svenja Schulze: Die Wirtschaft hat ein großes Eigeninteresse am Schutz der biologischen Vielfalt. Ein Beispiel: Die überwiegende Mehrheit der heimischen Nutz- und Wildpflanzen ist auf eine Bestäubung durch Insekten angewiesen. Eine wissenschaftliche Studie in unserem Auftrag hat jetzt mal den wirtschaftlichen Wert der Produkte, die von Bestäubungsleistungen abhängen geschätzt: Allein in Deutschland liegt dieser demnach bei rund 1,1 Milliarden Euro pro Jahr. Um Unternehmen mit ins Boot zu holen, haben wir zum Beispiel die Initiative „Unternehmen Biologische Vielfalt 2020“ gestartet. Hier arbeiten Wirtschafts- und Naturschutzverbände daran, unternehmerisches Engagement für die biologische Vielfalt zu stärken. Finanzielle Entschädigungen Frage: Die finanziellen Entschädigungen, etwa für Feldrandstreifen usw. sind im Vergleich zum Gesamtetat Ihres Hauses recht bescheiden. Woran scheitert eine großzügigere Mittelzuweisung, um die deutschen Biodiversitätsziele voranzutreiben? Svenja Schulze: Das Gros der Mittel verteilen ja nicht wir im Bundesumweltministerium, sondern das Landwirtschaftsministerium – darunter nationale und europäische Mittel. Das Umweltministerium kann derzeit nur Mittel für einzelne Modellprojekte zu Verfügung stellen. Zum Beispiel um zu zeigen, wie Naturschutz in der Landwirtschaft funktionieren kann. Die eigentliche Musik spielt bei der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Deren jetzt anstehende Reform bietet die Chance, den Umweltschutz in der Landwirtschaft entscheidend zu verbessern. Leider gehen die bisher vorgelegten Vorschläge in die falsche Richtung. Ich bin der Meinung: Die Landwirte und Landwirtinnen, die am meisten für die Umwelt tun, für den Insektenschutz, sauberes Wasser, gesunde Böden, sollten auch am meisten Förderung bekommen. Dafür setze ich mich ein. Glyphosat und andere Pestizide Frage: Ein Punkt: Glyphosat soll restriktiver gehandhabt werden – „nur noch, wenn es unumgänglich ist“. Was sind hier die neuen Richtlinien? Was wird getan, um generell den Einsatz von Pestiziden zu verringern? Svenja Schulze: Die Anwendung von Glyphosat will ich bis zum Ende dieser Legislaturperiode grundsätzlich beenden. Der Ausstieg ist ein schrittweiser Prozess. Meinen Plan hierfür habe ich diese Woche der Öffentlichkeit präsentiert. Dieser fußt auf drei Säulen. Erstens möchte ich einen Großteil der Anwendungen sofort einschränken oder verbieten. Zweitens werden wir die Zulassungspraxis ändern, nicht nur für Glyphosat, sondern für alle Pflanzenschutzmittel. Und drittens fordere ich, dass wir ein Enddatum für die Nutzung des Wirkstoffes festlegen, und zwar 2023. Eine Landwirtschaft, bei der die Giftspritze dominiert, hat für uns keine Zukunft. Wir wollen einen Pflanzenschutz mit Augenmaß, mit Bewusstsein für Umwelt- und Naturschutz, mit Bewusstsein für die Gefahren und Grenzen des Einsatzes dieser Mittel. Einfluss der EU-Agrarpolitik Frage: Auch die EU redet mit: Die Fördersumme des BMU von 100 Mio. Euro beispielsweise für das Insektenschutzprogramm ist angesichts der 6 Milliarden Euro, die jährlich aus europäischen Fördertöpfen an deutsche Landwirte ausgezahlt werden, ein Tropfen auf dem heißen Stein. In Deutschland wird jeder Hektar Land mit durchschnittlich 300 Euro gefördert, die europäischen Umweltauflagen sind aber sehr niedrig. Die europäische Agrarpolitik ist noch immer als Schutz für die Landwirte, nicht für die Umwelt konzipiert. Wie wollen Sie das ändern? Svenja Schulze: Sie haben vollkommen Recht: Die Gelder der EU-Agrarpolitik setzen die falschen Anreize. Derzeit bekommen Landwirte viel Geld dafür, viel Fläche zu bewirtschaften. Die dadurch verursachten Umweltschäden werden nicht eingepreist. Das sagen nicht nur Umweltschützer, sondern auch Ökonomen und der Europäische Rechnungshof. Ich setze mich ein für ein Fördersystem, das die Landwirte stattdessen für das honoriert, was sie für Natur und Gesellschaft leisten: für die Insektenvielfalt, für sauberes Wasser und abwechslungsreiche Landschaften. Eine Chance hierfür bietet die laufende Reform der EU-Agrarförderung, der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Wo steht Deutschland heute? Frage: Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt hat zum Ziel, bis zum Jahr 2020 den Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten und eine positive Entwicklung anzustoßen. Das ist gerade mal zwei Jahre hin. Wo sehen Sie Deutschland auf diesem Weg? Svenja Schulze: Im Koalitionsvertrag haben wir eine Reihe von Maßnahmen vereinbart, die ich beherzt angehe: Ein Aktionsprogramm für den Insektenschutz habe ich gerade in einem Bürgerdialog zur Diskussion gestellt. Wir haben einen Masterplan Stadtnatur vorgelegt, der mehr Grün in unseren Städten schafft. Und wir wollen eine Moorschutzstrategie erarbeiten und einen neuen Wildnisfonds aufsetzen. Wir haben noch viel vor! Ich bin zuversichtlich, dass wir durch diese und andere Maßnahmen das Artensterben in Deutschland bald stoppen können. Interview mit Dr. Christof Schenk, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. Sprungmarkennavigation im Beitrag Schutzgebiet in Gefahr UN-Biodiversitäts-Konferenz Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) Interview mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze Interview mit Dr. Christof Schenk, ZGF Der Manu-Nationalpark Team Wer zahlt für den Erhalt der biologischen Vielfalt? Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. Wie kann man Migration vorbeugen? Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. Wie hängen Artensterben und Klimawandel zusammen? Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. Müssen wir unsere Art zu wirtschaften ändern? Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. Erhalt der Artenvielfalt Frage: Welchen Beitrag müssen wir zum Erhalt der Artenvielfalt leisten? Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. Schätzen wir die Natur genug? Dr. Christof Sc


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Herkunft: ZDF-Mediathek
Sender: ZDF
Depublizierung: 15.11.2019 08:45Uhr
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