The White Diamond
2004
The White Diamond ist ein 2004 gedrehter Dokumentarfilm von Werner Herzog über den britischen Aeronautik-Ingenieur Graham Dorrington und seinen Versuch, mit einem Mini-Luftschiff die Regenwälder in Guyana zu erforschen.
Nach einer kurzen Einleitung über die Geschichte der Fliegerei, unterlegt mit historischen Originalaufnahmen, wird der Zuschauer mit Graham Dorrington und seiner Arbeit bekanntgemacht. Der Aeronautik-Ingenieur untersucht neue Flugzeuge auf strukturelle Schwachstellen und entwickelt und optimiert im Windkanal Prototypen für neue Flugzeuge und Luftschiffe. Ein zentrales Thema des Films ist ein Unfall mit einem von Dorrington konstruierten Luftschiff, bei dem der deutsche Naturfilmer Götz Dieter Plage 1993 auf Sumatra den Tod fand. Nach einem technischen Defekt verfing sich sein Luftschiff in den Baumkronen des Regenwaldes. Als Plage eine Kamera vom Vorderteil der Gondel retten wollte, stürzte er ca. 50 m in die Tiefe und starb an den Folgen des Sturzes. Dorrington gibt sich eine Mitschuld an dem Unfall, den er hautnah miterlebte, und will das traumatische Erlebnis mit dem Bau eines neuen Luftschiffs verarbeiten. Das neue Ziel sind die Kaieteur-Fälle in Guyana. Der Film beschreibt den Transport und Aufbau des Luftschiffs und die ersten Startversuche. Der erste Versuch endet nach kurzer Zeit, als ein Antriebsmotor durchbrennt und der Heckmotor aufgrund eines technischen Defektes in der falschen Laufrichtung rotiert. Der Zuschauer lernt den Einheimischen Marc Anthony Yhap kennen, der dem Luftschiff den Namen „White Diamond“ gibt. In einem längeren Monolog erzählt er, dass er mit dem Luftschiff gern nach Spanien fliegen würde, um seine Familie zu besuchen. Nach einer Woche mit Reparaturen und technischen Verbesserungen kann das Luftschiff seine Arbeit letztendlich aufnehmen, auch Marc Anthony Yhap wird zu einem Flug eingeladen. Das Vorhaben, über die Kaieteur-Fälle zu fliegen, wird wegen zu starker Fallwinde verworfen. Der Film endet mit einer längeren Einstellung, die zeigt, wie eine große Anzahl von Mauerseglern in eine hinter dem Wasserfall liegende verborgene Höhle fliegen.
»Fitzcarraldo«, »Nosferatu« und »Aguirre« – natürlich. Überhaupt die fünf Filme mit Klaus Kinski und dann die Reinigung vom Hass-Zwilling im Dokumentarfilm mit dem wunderschönen Titel »Mein liebster Feind«. Werner Herzogs Filmschaffen wird in Deutschland gerne auf diese Arbeiten reduziert. Ganz anders zum Beispiel in den USA, wo Herzog seit vielen Jahren lebt. Dort schätzt man ihn als einen der größten lebenden Filmregisseure. Berühmt machte ihn dort beispielsweise sein Dokumentarfilm »Grizzly Man«, der von einem selbst ernannten Tierschützer handelt,
der Opfer seiner eigenen Selbstdarstellung wurde. Mit »Tod in Texas« dreht er einen der vielleicht beeindruckendsten Dokumentarfilme über die Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen und schon im nächsten Moment, so scheint es, lässt er in »Königin der Wüste« die britische Historikerin Gertrude Bell im Körper von Schauspielerin Nicole Kidman auferstehen.
Nun, man kann Werner Herzog nicht nur als fiktionalen Geschichtenerzähler sehen und auch nicht nur als Dokumentaristen. Er ist stets beides, weil er über das Sichtbare hinausdenkt. Er sucht und findet immer wieder Bilder, die mehr sind als »einfach nur real«. Eine solche Szene entstammt seinem Film »The White Diamond«. Der 2004 gemeinsam mit den Heidelberger Naturfilmern Annette und Klaus Scheurich (Marco Polo Film) gedrehte Dokumentarfilm handelt von dem britischen Luftfahrt-Ingenieur Graham Dorrington und seinem kleinen, weißen Heliumballon, mit dem er über den Baumkronen von Guyana aufsteigen will. In einer Szene geht der Ballon kurz auf der Wasseroberfläche eines Flusses nieder. Die Kamera filmt die Berührung des »weißen Diamanten« mit dem Wasser – und plötzlich wird das Spiegelbild des Luftschiffes zu einem Juwel im Wasser. Wie eine seltsames, mystisches U-Boot schwebt das transformierte Gebilde plötzlich in einem ganz anderen Element. Ist es überhaupt
noch ein Ballon, wurde es in ein Wasserwesen transformiert, was ist seine neue Bestimmung, wenn es nun in die Tiefe gleitet, wo es doch eigentlich über den Baumkronen aufsteigen sollte? Für einige herrliche Filmsekunden steht die Welt Kopf. Solche Momente zu entdecken, ist Herzogs künstlerischer Antrieb und seine Gabe zugleich.
Das Bild des weißen Diamanten, der unsere Sinne täuschen kann. In dieser Täuschung – oder auch: in dieser Fata Morgana, um den Titel eines seiner frühen Filme zu nutzen – wohnt die Wahrheit. Der ganze Film, die ganze wissenschaftliche Forschung, die monströse Anstrengung der Planung und der Anreise in den Regenwald scheinen in diesem einen Moment aufgewogen. Die Realität ist in einen Schwebezustand übergegangen. Herzog spricht in solchen Momenten von »Erleuchtung«. Auch er selbst scheint erleuchtet. Fast nebenbei sagt er in seinem Dokumentarfilm »Mein liebster Feind« einen Satz, der diese Männerfreundschaft zweier sich bekämpfender Genies so treffend verdichtet: »Jedes weiße Haar auf meinem Kopf heißt Kinski.«
Herzogs wahnsinnige Bilder sind, so erfunden sie zunächst auch scheinen, real und fiktiv zugleich. Und sie sind auch das Ergebnis einer steten
Bereitschaft, neue Techniken einzusetzen. Darüber berichtet Klaus Scheurich beim allerersten vom Haus des Dokumentarfilms ausgerichteten Branchentreff Dokville 2005. Plastisch schildert der Kameramann, wie die Dreharbeiten zu »The White Diamond« mit Einsatz der damals noch recht neuen HD-Cam-Technik abliefen. Sie fanden innerhalb von knapp vier Wochen im Juli 2004 im südamerikanischen Guyana statt. Klaus Scheurich: »Die bis zu 14-köpfige Filmcrew musste sich im südamerikanischen Dschungel extremen klimatischen Bedingungen anpassen. So war es beispielsweise nur zwischen 6:30 und 9:00 Uhr möglich, aus dem Zeppelin zu drehen, da es nur dann windstill und hell genug war. Zudem drang die enorme Luftfeuchtigkeit, die morgens 100 % erreichte, überall ein. Mit Hilfe eines selbst entwickelten, gasdichten Pelicase- Koffers, in den Heizplatten eingebaut waren, sowie weiteren Hilfsmitteln gelang es uns dennoch, das Equipment trocken zu halten und die Objektive am Beschlagen zu hindern. Tropische Stürme verursachten weitere Probleme. So wurde an einem Tag das Werkstattzelt niedergerissen – der Zeppelin nahm dagegen erstaunlicherweise keinen Schaden.«
Diese Schilderung sagt viel aus über die Hartnäckigkeit, mit der Werner Herzog nach dem richtigen Moment sucht. Da haben sich Herzog und
Kinski nichts geschenkt – und nicht denen, die dabei waren. Auch der Flussdampfer, den Kinski als Fitzcarraldo im gleichnamigen Spielfilm über einen Berg ziehen lässt, hat diesen Berg tatsächlich überquert. Es war ein echtes Schiff auf einem echten Berg. Bei Werner Herzog ist selbst das Erfundene wahr. Andererseits manipuliert er die Realität, er montiert Zitate gegen Bilder, er kommentiert und setzt sich selbst in Szene. Das Dokumentarische eines Werner Herzogs hält all das aus. Denn Herzog zeigt nicht, was man sieht, sondern was ist.
Kinostart: | 2004 10.03.2005 in Deutschland | ||||||||||
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weitere Titel: |
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Genre: | Dokumentarfilm | ||||||||||
Herstellungsland: | Deutschland | ||||||||||
Originalsprache: | Englisch, Deutsch | ||||||||||
Farbe: | Farbe | ||||||||||
IMDB: | 4684 | ||||||||||
Verleih: | Netflix |
Regie: | Werner Herzog | |
Drehbuch: | Werner Herzog | |
Schnitt: | Joe Bini | |
Musik: | Ernst Reijseger | |
Darsteller: | Werner Herzog |
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Rezensionen:
2005 | CPH:DOX CPH:DOX Award | Gewinner |
2005 | New York Film Critics Circle Awards NYFCC Award Best Non-Fiction Film | Gewinner |
2005 | Village Voice Film Poll VVFP Award Best Documentary | Nominiert |