Glückstadt und die Abschiebehaft (1/3)

Ein Anruf mit Folgen

Ein Anruf aus Kiel bringt Unruhe in die idyllische Kleinstadt an der Elbe: Ein Vertreter des Innenministeriums Schleswig-Holsteins teilt Glückstadts Bürgermeisterin Manja Biel telefonisch mit, dass die Behörde eine Abschiebehaftanstalt in Glückstadt plane. "Das wünscht sich keiner, dass seine Stadt eins zu eins mit einer Abschiebehafteinrichtung genannt wird," sagt die parteilose Bürgermeisterin. Für den damaligen Innenminister von Schleswig-Holstein, Hans-Joachim Grote, ist es eine "notwendige Einrichtung", denn "wer nicht hier bleiben darf, muss das Land wieder verlassen."
Eine ehemalige Marinekaserne soll nach dem Willen der Landesregierung zur Abschiebehaftanstalt umgebaut werden, in der zukünftig 60 Ausreisepflichtige aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern inhaftiert werden können. Aktivist Frank Thurow aus Kiel möchte die Menschen vor Ort aufrütteln: "Abschiebehaft ist illegal, in Glückstadt und überall" skandiert er bei der Demo, die durch Glückstadt führt. Für Aktivist Frank verstoße die Abschiebehaftanstalt gegen "elementare Menschenrechte." "Warum werden die da weggesperrt?", fragt er. "Die haben doch nichts verbrochen."
Anwohner Jürgen Fehrs aber bewegen zunächst andere Sorgen. Der Rentner lebt direkt neben der ehemaligen Kaserne und fürchtet sich vor möglichen Ausbrüchen. Bisher fühlte er sich hier immer sicher, auch 2016, als in der ehemaligen Kaserne bis zu 1800 Geflüchtete lebten. "Die waren freundlich, die hatten Perspektiven" aber was jetzt käme, das sei nicht mehr positiv. Auch seine Ferienwohnung könne er dann nicht mehr gut vermieten.
Glückstadt und seine rund 11.000 Einwohner*innen leben auch vom guten Ruf als weltoffene Stadt. Seit über 50 Jahren gibt es hier auch die traditionellen Matjeswochen, die vor der Pandemie allein rund 100.000 Besucher*innen anlockte. Der geplante Umbau der Kaserne zur Abschiebehaftanstalt passe einfach nicht zum Image der Stadt, meint Bürgermeisterin Biel. Es sei aber leider eine Entscheidung des Landes, die vor Ort umgesetzt werden müsse. "Ob man es will oder nicht." Nur der Bauausschuss der Gemeinde könnte das Bauvorhaben des Landes noch stoppen. Vor allem die Höhe der Mauer, die die Abzuschiebenden an einem Ausbruch hindern soll, sorgt für Unverständnis. Wie werden die Gemeindevertreter am Ende entscheiden?
Die dreiteilige Doku-Serie "Glückstadt und die Abschiebehaft" zeigt eindrucksvoll, wie schwierig es sein kann, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Jede*r hat seine eigene Perspektive auf die Abschiebehaftanstalt, seine eigene Wahrheit.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Donnerstag, den 16.09.2021 um 00:05 Uhr auf NDR.

16.09.2021
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