Engadin - Wildnis der Schweiz
(aus der ORF-Reihe "Universum")
Vor rund 100 Jahren wurde im Schweizer Engadin der erste Nationalpark der Alpen gegründet: Der "Garten des Inn" beherbergt auch heute noch die größte unangetastete Wildnis der Schweiz.
Man wollte ein Refugium für Wildtiere schaffen und einen Ort, den sich die Natur selbst, ohne Eingriff des Menschen, gestaltet. Für diese Dokumentation haben sich Kurt Mayer und Judith Doppler ein Jahr lang der faszinierenden Region des Engadins gewidmet.
Wenn sich im Frühling die Morgensonne in den blaugrünen "Augen" der Oberengadiner Seenplatte spiegelt, dann füllen sich langsam die Wildbäche der Region, und mächtige Wasserfälle stürzen die riesigen Felswände hinab. Der Wasserreichtum haucht dieser hochalpinen Region Leben ein. Durch das Wasser ist es auch im Sommer grün, Wildtiere wagen sich bis in extreme Höhen vor. Ein Wassertropfen, der hier während eines sommerlichen Gewitters fällt, darf sich entscheiden, ob er über Inn und Donau ins Schwarze Meer fließt, über den Rhein in die Nordsee will oder den Weg nach Süden nimmt, um schließlich in der Adria zu landen.
Heute jagen im Engadin Steinböcke munter über steile Wände, und prächtige Bartgeier betreiben eifrig ihre Knochenschmieden. Und selten, aber doch regelmäßig, steckt auch wieder ein Luchs seine Nase in diese hoch gelegene alpine Wildnis. Aber das war nicht immer so: Durch die intensive Bejagung ging der Steinbock-Bestand in der Schweiz massiv zurück, und um 1906 waren Steinböcke endgültig ausgerottet. Nur noch im italienischen Gran Paradiso, im königlichen Jagdrevier im Aostatal, gab es noch einen kleinen Steinbock-Bestand, strengstens bewacht von den königlichen Jägern. Erst das beherzte Einschreiten eines betuchten Schweizer Hoteliers sorgte für die Rückkehr der Steinböcke in die Schweiz.
Etwa 100 Jahre später ist im Engadin ein weiteres Alpentier wieder heimisch geworden: der Bartgeier. Den Bart tragen Männchen wie Weibchen, seine Flügelspannweite beträgt bis zu drei Meter, und er ist einer der faszinierendsten Gleiter über den mächtigen Alpentälern des Engadins. Aber auch er wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts ausgerottet. Durch den Erfolg eines internationalen Wiederansiedlungsprojekts findet man den Bartgeier auch wieder im Engadin.
Weit oben am Berg, auf hoch gelegenen Brunftplätzen, kämpfen auch wieder dominante Rothirsche im September und Oktober, oft schon im Schnee, um die weiblichen Tiere. Auch ihr Bestand hat sich erholt: Um 1850 gab es durch die rücksichtslose Bejagung fast keine Hirsche mehr in der Schweiz. Während die Hirschkühe mit ihren Kälbern in gemischten Rudeln leben, bleiben die Geweih tragenden männlichen Hirsche lieber unter sich.
Die Dokumentation taucht in ein kleines Tierrefugium mit großer Vergangenheit ein, in ein wildes Land am Rande von Gletschern und dunklen Wäldern - eine Reise zu den Quellen des Inn. Seit der Gründung des Nationalparks war die Region beispielgebend für viele ähnliche Projekte und Vorbild für Dutzende weitere Parks im alpinen Raum.
Die Sendung wird ausgestrahlt am Samstag, den 27.02.2021 um 12:14 Uhr auf 3sat.
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