Meine Kindheit ... im Karneval

Film von Meike Hemschemeier

"Für ein paar Tage durfte man jemand anders sein", erinnert sich Peter Brings von der Kölner Rockband "Brings". Er entschied sich für "Cowboy" und brachte seinen Vater Rolli, einen ausgewiesenen Pazifisten, damit Ende der 1960er Jahre zur Verzweiflung. Unzählige Kinder spielten damals zu Karneval auf den Spielplätzen Cowboy und Indianer, während die Eltern in den umliegenden Veedelskneipen kräftig feierten. "Schlüssel um den Hals und fertig", sagt Peters Bruder Stephan: "Da gab's keine Aufsicht". Drei Jahrzehnte früher erlebte Annette Dommes den rheinischen Karneval zum ersten Mal: Sie zog 1937 mit den Eltern von Bielefeld nach Düsseldorf. Eine Schulfreundin unterbreitete der staunenden Annette, dass man am Rosenmontag im Rheinland geschminkt zur Schule gehen darf. "In den 30er Jahren war das eigentlich etwas Ungehöriges", erinnert sie sich. Den Moment, als sie im bayerischen Dirndl mit klopfendem Herzen auf die Straße trat, hat sie nie vergessen. "Freiheit war das", meint sie rückblickend auf eine Zeit, in der Kinder vor allem eines mussten: gehorchen.
Ende der 30er Jahre begannen die Nazis, sich den Karneval als hocheffektives Sprachrohr zunutze zu machen. "Ich kann mich noch gut an den Rosenmontagszug 1937 erinnern", sagt der bekannte Kölner Liedersänger Ludwig Sebus (85). "Wir Kinder standen mit meiner Mutter in Köln am Hohenzollernring, Ecke Bismarckstrasse, wo die Wagen Aufstellung nahmen. Da stand ein Wagen mit der Aufschrift "Die Letzten ziehen ab". Auf dem Wagen wurden die orthodoxen Juden persifliert, mit großen Nasen, langen Mänteln und Schläfenlocken. "Ich weiß noch genau, wie meine Mutter zu uns sagte: 'Das, was sie jetzt mit den Juden machen, das machen sie bald mit den Christen.'"Der Bonner Geschäftsmann Amir Shafaghi war 10 Jahre alt, als er 1980 mit seinen Eltern aus dem Iran floh. Bei seiner Ankunft in Bonn regnete es Bonbons. "Ich war so aufgeregt, dass ich mich nicht mal danach bücken konnte. Ich stand einfach nur da. Von diesem Moment an wollte ich dazugehören". Im nächsten Jahr ging Amir dann verkleidet zum Zug, mit 13 kaufte er seine erste "Bläck Fööss"-Platte und lernte sie auswendig. Er hatte den Traum, im Zug mitzugehen - doch dieses Privileg, so sagte man ihm, haben nur "bönnsche Pänz". Amir war tief enttäuscht.
Ungefähr zur gleichen Zeit bereitete sich in Köln ein kleines Mädchen auf den ersten Karnevalszug ihres Lebens vor: Eva Frings, 8 Jahre alt und die Enkelin von Ludwig Sebus. Tagelang überlegte man, was das Kind anziehen soll, damit es nicht friert, die Mutter postierte sich mit Proviant und Thermoskannen voller Tee am Zugweg. Doch die kleine Eva hatte weder Hunger noch Durst, sie erlebte das Ganze wie in einem Rauschzustand. Bis zu ihrem 30. Geburtstag lief sie jedes Jahr mit und tat alles dafür: "Ich war Kindermariechen, Kamelleträger und später Funkenmariechen der Altstädter". Als sie aus Altersgründen ihre Karnevalskarriere beenden musste, stand sie weinend am Zugweg. Amir Shafaghis Karriere hingegen beginnt just zu diesem Zeitpunkt. Er zieht das prächtigste Kostüm an, das er je hatte: Denn 2010 wird er zum ersten muslimischen Prinz Karneval von Bonn gekürt.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Sonntag, den 26.02.2017 um 09:00 Uhr auf Phoenix.

26.02.2017
09:00
Livestream
Alternative Ausstrahlungstermine:
26.02.2017 09:00 Uhr Phoenix