Pflegenotstand im Norden - Wege aus der Ungerechtigkeit

Film von Fabian Sabo und Niels Folta

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Die Ursachen für den Pflegenotstand im Norden wie in der ganzen Bundesrepublik sind komplex: Die ersten sogenannten Babyboomer-Jahrgänge werden alt und pflegebedürftig, das neue Pflegestärkungsgesetz hat mehr Anspruchsberechtigte produziert als die vorherigen Reformen. Und: Die Betriebe haben jahrelang zu wenig ausgebildet. Denn die Ausbildung ist zeitaufwendig und kostet Geld. In der Folge fühlen sich alle im Stich gelassen: Patienten und Angehörige, Pflegedienste und Pflegekräfte.


Mareen B. und ihr Ehemann haben einen schwer kranken zweijährigen Sohn. Ihm steht eine 20-stündige Betreuung, Pflege und Beatmung zu Hause, also ambulant, zu. Die Krankenkasse bezahlt das alles. Aber: eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung klappt nur selten. Mal sind Pflegekräfte krank, mal haben sie beim Pflegedienst gekündigt und der findet keinen Ersatz. Eine Katastrophe für die Familie: "Wenn wir das alles selbst machen müssen, also 24 Stunden am Tag, dann sind wir total kaputt. Aber das ist nicht so schlimm, unser Sohn ist ja unser Kind, unser Augenstern, viel schlimmer ist, dass unser System das nicht hinkriegt, dass es nicht klappt, die Pflege durchgehend zu organisieren. Da fühle ich mich im Stich gelassen."

Und die ambulanten Pflegedienste? Auch die fühlen sich im Stich gelassen. Almut C. Ist die Inhaberin eines ambulanten Pflegedienstes im ländlichen Niedersachsen: "Erstens krieg ich hier kaum Leute her zum Arbeiten. Und zweitens kann ich nicht so gut bezahlen wie die Kollegen in Hamburg. Drittens haben wir schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass es so kommen wird, wir haben das vorausgesehen. Aber die Politik hat nichts getan. Ich bin stinksauer und enttäuscht."

Dass in Niedersachsen weniger bezahlt werden kann als in Hamburg ist traurige Realität. Jedes Bundesland hat eine andere Entgeltordnung für Pflegedienstleistungen. Und die Bezahlung in Niedersachsen liegt im unteren Mittelfeld. Bekommt ein Pflegedienst in Hamburg für das Setzen einer Spritze, inklusive Anfahrt, 19,61 Euro, so sind es in Niedersachsen, ebenfalls inklusive Anfahrt, 8,53 Euro. Mehr als die Hälfte weniger.

Dabei gilt wie im Krankenhaus auch in der Pflege: ambulant vor stationär. Niemand soll lange in einer Einrichtung leben müssen, es sei denn, es ist absolut notwendig. Bis dahin ist Pflege zu Hause das Beste, da sind sich Fachleute einig. Und bekommt man Pflege zu Hause verordnet, hat man ein Anrecht darauf. Die Krankenkassen müssen sich kümmern. Schaffen sie es nicht, hat man Anrecht auf einen Heimplatz. Aber was nutzt ein Heimplatz, wenn man zu Hause besser aufgehoben wäre?

Die Ursachen für den Pflegenotstand im Norden wie in der ganzen Bundesrepublik sind komplex: Die ersten sogenannten Babyboomer-Jahrgänge werden alt und pflegebedürftig, das neue Pflegestärkungsgesetz hat mehr Anspruchsberechtigte produziert als die vorherigen Reformen. Und: Die Betriebe haben jahrelang zu wenig ausgebildet. Denn die Ausbildung ist zeitaufwendig und kostet Geld. Davor schrecken viele Betriebe zurück, zumal sie, wie in Niedersachsen, ohnehin schon wenig verdienen.

In einigen Bundesländern allerdings werden die Betriebe verpflichtet, Ausbildungsumlagen zu zahlen, um dadurch sozusagen Ausbildungen automatisch mitzufinanzieren. Das ist in Bremen so. Und dann steigen auch die Ausbildungsplatzangebote, so die Statistik. Bremen konnte seine Azubizahlen im Altenpflegebereich um 60 Prozent erhöhen. Offensichtlich denken sich die ambulanten Dienste dann, wenn sie schon zahlen müssen, dann bilden sie auch aus. Seit einigen Jahren läuft das im Stadtstaat schon so. In Niedersachsen nicht.

Wo bleibt also die soziale Gerechtigkeit? Im Pflegedienstbereich zumindest scheint es sie auf mehreren
Ebenen gar nicht zu geben.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Freitag, den 07.12.2018 um 23:15 Uhr auf tagesschau24.

07.12.2018
23:15
Livestream
Audio-Format:stereo
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Farbe:farbe
Audio-Beschreibung: nein
Hörhilfe: ja
HDTV: nein
Logo-Event: nein
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Schlagwörter:Gesundheit/Medizin, Dokumentation/Reportage, Politik
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