Der unsichtbare Feind

37 Grad begleitet zwei Frauen, die das gleiche Leid teilen: eine langjährige, chronische Infektion, die ihr Leben bestimmt. Bei Manuela K. zerbricht darüber ihre Familie. Irmtraut G. hofft, mit einer Phagen-Therapie ihr langes Leiden in den Griff zu bekommen. Soziale Isolation und Depression Manuela K. ist Anfang 50. Sie war 24, als das Unglück begann. Zunächst wurde Manuela am Knöchel operiert, zur Stabilisierung setzten die Ärzte ihr eine kleine Metallplatte ein, ein Routine-Eingriff. Fünf Wochen nach der Operation geht die Wunde auf. Abszesse, Eiter, Entzündungen. Die Operationswunde bricht immer wieder auf. Manuela verbringt mit ihren Kindern mehr Zeit in der Ambulanz als auf dem Kinderspielplatz. Um finanziell über die Runden zu kommen, geht sie putzen. Einer festen Arbeit kann die gelernte Kauffrau nicht nachgehen, da sie immer wieder zu erneuten Eingriffen ins Krankenhaus muss. Dieser Zustand belastet zunehmend ihre Ehe. Ihr Mann verlässt sie. Die Jahre danach sind ein ständiges Auf und Ab von vermeintlich gesunden Phasen und neuen Infektionen. Darunter leidet die Beziehung zu ihren Kindern, Freunde wenden sich ab aus Angst vor Ansteckung. Manuela wird depressiv. Endlich wird im Nachgang zu einer OP festgestellt, dass sie MRSA hat, einen multiresistenten Keim. Da hat sie bereits mehr als 200 Eingriffe hinter sich. Heute muss Manuela täglich eine Handvoll Tabletten nehmen und kann nur mit Morphinpflastern leben. Und doch genießt sie jeden guten Tag. Auch wenn sie jetzt "Ruhe vor dem Keim" hat, weiß sie doch, wie schnell sich alles wieder ändern kann. Letzte Rettung vor der Amputation Irmtraut G. ist 83 Jahre alt. Seit einer Hüftgelenk-Operation vor wenigen Jahren stellen sich fortwährend Infektionen ein. 2015 musste die Hüftprothese samt Schaft ausgebaut werden. Sieben Monate lag sie im Krankenhaus, bis die Infektion abgeklungen war. Mehrere Operationen folgten. 37 Grad begleitet sie bei einer Operation, die aufgrund einer neuen Infektion notwendig geworden ist. Derzeit wird sie in der Berliner Charité mit Phagen behandelt. Sie ist erst die 17. Patientin, die seit 2018 Phagen bekommen hat. In Deutschland ist diese Therapie noch nicht allgemein zugelassen. Phagen dürfen zurzeit nur eingesetzt werden, wenn es keine alternativen Antibiotika mehr gibt und wenn eine Amputation droht. 37 Grad-Autorin über ihren Film Barrieren abbauen Als mir die Redaktion das Thema multiresistente Keime vorschlug, war ich alles andere als begeistert. Doch dann siegte die Neugier. Ich wollte auch für mich selbst eine Einschätzung der Bedrohung durch multiresistente Keime finden – was ein schwieriges Unterfangen war und ist, da auch - wie immer in der Wissenschaft - unterschiedliche Einschätzungen von der Gefahr bestehen. Nachdem ich mir das erste rudimentäre Wissen angelesen hatte, machte ich mich auf die Suche nach Protagonisten. Es war sehr schwierig, Menschen zu finden, die bereit waren, mit ihrer Erkrankung vor die Kamera zu gehen. Zu groß war die Angst, deswegen von ihrem Umfeld ausgegrenzt zu werden. Für unsere Protagonistin Manuela K. hingegen war genau dies der Grund, im Film mitzumachen. Sie wollte mithelfen, diese Barrieren abzubauen, die sie selbst erfahren hatte.  Der multiresistente Keim, der das ganze Leben von Manuela geprägt und bestimmt hat, hat diese Frau aber nicht brechen können. Ihre Kraft hat mich nachhaltig beeindruckt. Frau Günther machte ihre schmerzvollen Erfahrungen mit einem resistenten Keim erst im Alter. Auch sie ließ sich nicht unterkriegen. Nach vielen Behandlungen mit Antibiotika hatte sich bei ihr ein multiresistenter Keim gebildet und auf ihrer Hüftprothese eingenistet, gegen den kein Antibiotika mehr hilft. Im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erhielt sie Bakteriophagen, das  sind Viren, die die Bakterien zerstören - ein letzter Versuch, ihr Bein vor der Amputation zu retten. Falscher Umgang mit Antibiotika Wir Menschen brauchen die Keime, also Bakterien zum Leben. Sie sind auf unserer Haut und leben in unserem Körper. Durch den jahrzehntelangen, oft unkritischen und falschen Gebrauch von Antibiotika haben sich aber inzwischen viele Keime gebildet, die gegen Antibiotika resistent geworden sind. Ziemlich sicher ist bereits jeder Dritte von uns mit einem multiresistenten Keim besiedelt. So lange wir gesund sind, wird unser Immunsystem ohne Probleme mit Bakterien, auch mit resistenten Bakterien fertig. Schwierig wird es, wenn wir Vorerkrankungen haben oder alt und gebrechlich sind und zur Unterstützung Antibiotika bräuchten. Wenn sie dann nicht mehr greifen, sterben wir wieder an Infektionen - wie vor hundert Jahren, als es das Antibiotika noch nicht gab. Weltweit wird nach Alternativen zu Antibiotika geforscht. Bakteriophagen oder Enzyme können diese vielleicht eines Tages ersetzen oder zumindest ergänzen. Ich persönlich habe das gründliche Hände waschen in die tägliche Haushaltsroutine aufgenommen und achte auf ein gesundes Immunsystem. Dazu gehört auch, dass ich kein Fleisch mehr esse, das mit Antibiotika behandelt wurde -  ein Aspekt, der leider zeitlich keinen Raum in unserem Film haben konnte. Fakten zum Thema Infektionen auf dem Vormarsch Zehn Lebensjahre mehr, so schätzen Experten, haben wir alleine den Antibiotika zu verdanken. Tatsächlich bilden sich seit einiger Zeit zunehmend Antiobiotikaresistenzen heraus. Circa 670.000 Menschen erkranken jährlich in Europa an Infektionen durch multiresistente Erreger. (Quelle: Robert-Koch-Institut). Schätzungen zufolge kommt es in Deutschland laut Robert-Koch-Institut zu etwa 54.500 Infektionen durch multiresistente Erreger (MRE). Grobe Schätzungen gehen für Deutschland allein von mehreren Tausend Todesfällen infolge von Infektionen mit multiresistenten Erregern aus, die im Krankenhaus erworben wurden (afp). Nachgewiesene Reserveantibiotika wie Colistin werden bei Menschen als letzte Mittel gegen Infektionserkrankungen eingesetzt, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken. Bei der Zunahme antibiotikaresistenter Erreger sehen Fachleute einen deutlichen Zusammenhang mit dem Einsatz von Antibiotika an Tieren in der Massentierhaltung, unserem allzu unbekümmerten Umgang mit Antibiotika und der Verschlechterung der Krankenhaushygiene. Außerdem sorgt der Antibiotika-Einsatz dafür, dass die Wirkstoffe längst überall in der Umwelt, im Boden und in Gewässern zu finden sind. Panresistente Keime, gegen die gar nichts mehr hilft, sind zwar noch die große Ausnahme, dennoch erklärten die Vereinten Nationen Antibiotikaresistenzen kürzlich zur globalen Krise und warnen vor dem postantibiotischen Zeitalter. Alte, Kranke und Kinder besonders gefährdet Entwickeln diese Personengruppen eine Infektion, wirken nur noch wenige Antibiotika und die Infektion kann lebensgefährlich verlaufen. Wenn Antibiotika nicht mehr zuverlässig wirken, ist konsequente Hygiene umso wichtiger, um die Ausbreitung von Keimen zu verhindern. In den letzten Jahren ist auch in Deutschland die Zahl der MRSA-Fälle gesunken. Laut Gesundheitsministerium um 20 Prozent seit 2010.  Wie man einer Infektion vorbeugen kann -           Krankenhaushygiene verbessern -           regelmäßiges Hände waschen -           Hände desinfizieren -           Vorsicht mit nackter Haut -           Finger weg von Fernbedienungen -           Keine Topfpflanzen in Krankenzimmern -           Lassen Sie niemanden in ihr Krankenhausbett Risikofaktoren für eine Infektion - Krankenhausaufenthalt oder Aufenthalt in einem Pflegeheim innerhalb der letzten sechs Monate - Antibiotikatherapie innerhalb der letzten sechs Monate - dauerhafte Pflegebedürftigkeit - offene größere und schlecht heilende Hautwunden - Schläuche im Körper - Erkrankungen, die das Abwehrsystem schwächen - Medikamente, die das Abwehrsystem unterdrücken Antibiotika richtig einsetzen Antibiotika sollten weltweit nur zurückhaltend und bei den richtigen Indikationen eingesetzt werden. Überall da, wo sie keinen Stellenwert haben, sollten sie nicht zum Einsatz kommen. Das gilt für die Tierzucht, aber auch für die übermäßige Anwendung bei Menschen.


Dieser Film wurde leider am 10.01.2023 um 08:45Uhr depubliziert!
Herkunft: ZDF-Mediathek
Sender: ZDF
Depublizierung: 10.01.2023 08:45Uhr
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